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1900 - Thoregon

Titel: 1900 - Thoregon
Autoren: Unbekannt
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Mein Makrokörper ist eine weitgehend baugleiche Ausführung."
    „Öffne diese Lade, Autrach!"
    Er wußte nicht, weshalb der Steuercomputer das Wort öffnen so seltsam betonte. In ihm erwachte ein Unbehagen, gegen das er sich nicht wehren konnte. Etwas war falsch.
    Autrach wußte instinktiv, daß es klüger gewesen wäre, die Multifunktionslade nicht zu berühren. „Tu es!"
    „Ich werde ..,'Ja."
    Er drückte den Öffnungsmechamsmus, und eine zweite Lade kam zum Vorschein.
    Autrach starrte schockiert auf einen grauen Gewebeklumpen.
    Dies war nicht die Leiche. Er hatte mit absoluter Sicherheit einen weiteren Baolin-Nda vor sich. Die Lade enthielt ganz eindeutig ein zweites Wesen -nur diesmal ein lebendiges! „Was ist das?" flüsterte er.
    Der Steuercomputer antwortete: „Das Gewissen, von dem ich sprach."
    „Was bedeutet das, ein Gewissen?"
    „Ich weiß es nicht. Thundergorn hat es mir nicht gesagt. Er hielt es für sicherer, wenn die Kenntnis niemals in die Speicher eines Computers gelangt."
    „Und ... was soll ich damit anfangen?"
    „Thundergorn möchte diese Seele behütet wissen. Er will, daß du sie in deinem Makrokörper aufnimmst, Autrach."
    „Das werde ich ganz gewiß nicht! Ich werde meinen Körper mit niemandem teilen."
    Zwei Seelen gehörten nicht in einen Körper, daran hatten die Baolin-Nda sich stets gehalten. Autrach wußte nicht eine einzige Ausnahme.
    Der Computer erklärte: „Thundergorn sah diese Reaktion voraus, bevor er starb. Er gibt jedoch zu bedenken, daß jeder Baolin-Hochtechniker das Gewissen in sich tragen muß.
    Er empfiehlt dir, einfach den Versuch zu wagen."
    „Ich werde ..." Autrach unterbrach sich. „Was wirst du nun tun?"
    „Ich ..." Ärgerlich nahm er zur Kenntnis, daß er nur noch Gestammel hervorbrachte. Er fühlte sich nicht in der Lage, die notwendige Entscheidung zu treffen.
    Also schob er die Verantwortung instinktiv auf die einzige Person, die ihr gewachsen zu sein schien; und das war in seinen Augen der verstorbene Hochtechniker. „Ich werde mich an Thundergorns Empfehlung halten", hörte er sich sagen.
    Autrach öffnete eine Klappe an seinem Hals.
    Dann löste er den Gewebeklumpen, das sogenannte Gewissen, aus Thundergorns aufgebahrtem Körper heraus.
    Er setzte sich selbst die Lade ein. Im selben Moment hörte er den Klang einer mentalen Stimme. Es war ein unerhörter Vorgang, den sich Autrach nicht erklären konnte.
    Und die Stimme sprach zu ihm: „Mein Name ist Temperou."
     
    *
     
    Der folgende Tag war ein Regentag. Onzhous verwandelte sich in eine dampfende Steppe, aus der die Triebe frischer Pflanzen in die Höhe schössen. Am Tag nach der Sonne war es immer so.
    In der Technostadt versammelten sich die Baolin-Nda zu einer Zeremonie. Autrachs Blick wanderte über einige hunderttausend Makrokörper, die sich in der Arena des Friedens zu dichten Reihen drängten.
    Als der letzte Baolin-Nda seinen Platz einnahm, wurde es still. Das Geprassel der Regentropfen verursachte die einzig wahrnehmbaren Geräusche.
    Autrach schaltete seine Lautbildungsgeneratoren auf höchste Lautstärke. Die rituellen Worte sollten noch in der letzten Reihe vernehmbar sein. Er übertrug die Aufgabe, sie zu formulieren, dem Computer seines Makrokörpers. Autrach hatte Wichtigeres zu tun, als sich mit dem Aufsagen uralter Formeln zu befassen.
    Im selben Moment, da sein Computer zu sprechen begann, zog er sich aus dem Wahrnehmungskreislauf zurück.
    Es wurde dunkel und still.
    Lautlos formulierte er: „Temperou! Kannst du mich verstehen?"
    Ihr Hohen Mächte, laßt alles Einbildung sein, flehte er. Laßt mich aus einem Traum erwachen und ein einfacher Techniker in einem Schloß sein.
    Sein Flehen fand keine Antwort.
    Statt dessen vernahm er wieder die Stimme aus seinem Inneren: „Natürlich höre ich dich."
    Autrach kämpfte gegen die Abneigung, die ihn beim Klang der Stimme erfüllte. „Ich habe dich in meinem Körper aufgenommen", begann er. „Dafür erwarte ich eine vollständige Erklärung, was diese seltsame Aktion zu bedeuten hat."
    „Die sollst du bekommen", antwortete Temperou bereitwillig. „Ich bin das Gewissen der Baolin-Nda."
    „Soviel hörte ich bereits."
    „Ich werde immer vom Hochtechniker unseres Volkes getragen. Leider besitze ich nicht die Fähigkeit, einen eigenen Makrokörper zu steuern. In meiner Person vereinen sich Erfahrungen und ethische Standpunkte, die im Lauf von Jahrzehntausenden gewachsen sind. Ich beinhalte, wenn man so will, das Vermächtnis der
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