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19 Minuten

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Titel: 19 Minuten
Autoren: Jodi Picoult
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Wunder, das Schulgebäude war alt und fiel langsam auseinander. Hauptsache, es hatte keine Verletzten gegeben.
    Schüsse gemeldet...
    Die Ampel sprang auf Grün, aber Patrick rührte sich nicht.
    Schüsse in der Highschool... Sterling High...
    Die Stimme wurde schneller, eindringlicher. Patrick wendete und raste mit Blaulicht Richtung Schule. Weitere, von statischem Rauschen untermalte Stimmen meldeten sich über Funk - Offi-cer, die ihren Standort durchgaben, der diensthabende Einsatzleiter, der alle Kräfte koordinierte und Verstärkung aus Hanover und Lebanon anforderte. Die Stimmen vermischten sich, übertönten einander, bis kein Wort mehr zu verstehen war.
    Signal iooo, meldete die Zentrale. Signal 1ooo.
    In Patricks gesamter Laufbahn als Detective hatte er diesen Code nur zweimal gehört. Einmal in Maine, als ein Vater, der seiner Unterhaltspflicht nicht nachkam, einen Officer als Geisel genommen hatte. Und einmal in Sterling, als ein Bankraub gemeldet wurde, der sich dann aber als falscher Alarm entpuppte. Signal iooo bedeutete, dass alle Einsatzkräfte die Funkfrequenz ab sofort ausschließlich für die Zentrale frei zu lassen hatten.
    Es bedeutete, dass sie es mit einem absoluten Ernstfall zu tun hatten.
    Es herrschte pures Chaos. Schüler, die in Panik aus der Schule rannten, trampelten über am Boden liegende Verletzte hinweg. Ein Junge hielt ein selbst geschriebenes Schild mit der Aufschrift HILFE an ein Fenster im oberen Teil des Gebäudes. Zwei Mädchen umschlangen einander schluchzend. Blut färbte den Schnee rosa, Eltern trafen zuerst vereinzelt ein, dann kamen mehr und mehr, bis sie ein tosender Strom waren und die Namen ihrer vermissten Kinder zu einem einzigen unverständlichen Schrei wurden. Chaos, das war eine Fernsehkamera direkt vor deinem Gesicht, nicht genug Rettungswagen, nicht genug Officer und keinen Schimmer, wie du reagieren solltest, wenn die Welt in Stücke brach.
    Patrick hielt halb auf dem Gehweg und schnappte sich seine Schutzweste vom Rücksitz. Das Adrenalin pulsierte durch seine Adern, schärfte seine Sinne. Er rannte zu Chief O'Rourke, der mit einem Megafon mitten im Tohuwabohu stand. »Wir wissen noch nicht, womit wir es zu tun haben«, sagte der Chief. »Die Spezialeinheit ist auf dem Weg.«
    Patrick interessierte das nicht. Bis die Einheit vor Ort war, konnten noch zig weitere Schüsse fallen. Es konnte Tote geben. Er zog seine Pistole. »Ich geh rein.«
    »Kommt gar nicht infrage. Das ist gegen die Vorschriften.«
    »Für so was gibt es keine Vorschriften«, fauchte Patrick. »Feuern können Sie mich später.«
    Als er die Stufen zur Schule hinauflief, nahm er wahr, dass zwei weitere Officer sich über die Befehle ihres Chiefs hinweggesetzt hatten und ihm auf den Fersen folgten. Patrick schickte sie in der Eingangshalle jeweils in einen anderen Korridor und schob sich durch das Gedränge fliehender Schüler den Hauptgang hoch. Durch den Lärm der gellenden Alarmanlage konnte Patrick die weiterhin fallenden Schüsse kaum hören. Er hielt einen Jungen an der Jacke fest. »Wer schießt da?«, brüllte er.
    Der Junge schüttelte nur stumm den Kopf und riss sich los. Patrick sah ihm nach, wie er panisch den Gang hinunterrannte und durch die Doppeltür in ein Rechteck aus Sonnenlicht stürmte.
    Schüler brandeten um Patrick herum, als wäre er ein Felsbrocken in einem Fluss. Rauchschwaden brannten ihm in den Augen. Wieder hörte er eine Reihe von Schüssen. »Wie viele sind es?«, rief er einem vorüberrennenden Mädchen zu.
    »Ich... ich weiß nicht...«
    Der Junge neben ihr drehte sich um und schrie: »Nur einer... ein Schüler... der schießt auf alles, was sich bewegt.«
    Das genügte ihm. Sofort schwamm Patrick weiter gegen den Strom. Der Boden war übersät mit losen Blättern. Patronenhülsen rollten ihm vor die Füße. Deckenplatten waren heruntergeschossen worden, und die verrenkten Körper von Verletzten, die vereinzelt herumlagen, waren mit feinem grauem Staub bedeckt. Patrick ignorierte das alles, hielt sich an keine Grundregel seiner Ausbildung - lief an Türen vorbei, hinter denen ein Täter lauern konnte, sicherte keinen einzigen Raum - sondern eilte einfach nur weiter, mit gezückter Pistole, während ihm das Herz bis zum Hals schlug.
    Er rannte durch Flure, die alle kreisförmig aufeinander zuzulaufen schienen. »Wo?«, bellte er jedes Mal, wenn er an einem Schüler auf der Flucht vorbeikam - seine einzige Navigationsmöglichkeit. Er sah Blut, Schüler, die sich
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