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19 Minuten

19 Minuten

Titel: 19 Minuten
Autoren: Jodi Picoult
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am Boden krümmten, doch er zwang sich wegzusehen. Er lief die Haupttreppe hinauf, und kaum war er oben angelangt, öffnete sich eine Tür einen Spaltbreit. Patrick wirbelte herum, die Pistole schussbereit. Eine junge Lehrerin sank mit erhobenen Händen auf die Knie. Hinter dem weißen Oval ihres Gesichts waren ein Dutzend andere zu sehen, konturlos und verängstigt. Patrick nahm den Geruch von Urin wahr.
    Er senkte die Waffe und winkte Richtung Treppe. »Los raus«, befahl er der Lehrerin und ihren Schülern, wartete aber nicht ab, ob sie auch tatsächlich losliefen.
    Als Patrick um eine Ecke bog, war der Boden rutschig von Blut, und dann fiel wieder ein Schuss, diesmal so laut, dass Patrick die Ohren klingelten. Er stürmte durch die offene Doppeltür in die Sporthalle und ließ den Blick über die hingestreckten Körper schweifen, den umgestürzten Basketballkarren, die Bälle, die bis zur entgegengesetzten Wand gerollt waren - aber es war kein Schütze zu sehen.
    Patrick wusste, dass er am anderen Ende des Gebäudes angelangt war. Der Schütze hielt sich also irgendwo hier in der Halle versteckt, oder er war wieder zurückgelaufen, ohne dass Patrick ihn bemerkt hatte ... er könnte sich sogar in diesem Moment von hinten anschleichen.
    Patrick wirbelte herum Richtung Eingang. Im selben Augenblick hörte er einen weiteren Schuss. Er lief zu einer Tür, die er bislang noch gar nicht bemerkt hatte. Sie ging von der Sporthalle ab und führte in einen Umkleideraum, dessen Wände und Boden weiß gefliest waren. Er warf einen Blick hinein, sah Blutspritzer zu seinen Füßen und schob den Kopf vorsichtig um die Ecke.
    Zwei Körper lagen reglos an einem Ende der Umkleide. Am anderen hockte ein schmächtiger Junge neben einer Reihe Spinde. Er trug eine Nickelbrille, die ihm schief im mageren Gesicht saß. Er zitterte heftig.
    »Bist du verletzt?«, flüsterte Patrick, um dem Schützen nicht seine Position zu verraten.
    Der Junge blinzelte ihn nur an.
    »Wo ist er?«, fragte Patrick.
    Der Junge zog unter dem Oberschenkel eine Pistole hervor und hielt sie sich an den Kopf.
    Eine neue Hitzewelle durchströmte Patrick. »Keine Bewegung«, brüllte er und zielte auf den Jungen. »Lass die Waffe fallen, oder ich schieße.« Der Schweiß brach ihm am ganzen Körper aus, und er spürte, wie ihm der Pistolengriff aus den Händen zu rutschen drohte, aber er war entschlossen, den Jungen mit Kugeln zu durchsieben, wenn es sein musste.
    Patrick hatte den Zeigefinger fest am Abzug, als der Junge die Finger spreizte. Die Pistole fiel zu Boden und schlitterte über die Fliesen.
    Patrick stürzte sich auf ihn. Einer der beiden Officer, der ihm inzwischen gefolgt war, nahm die Waffe des Jungen an sich. Patrick drehte den Jungen auf den Bauch, drückte ihm ein Knie in den Rücken und legte ihm Handschellen an. »Ist noch jemand bei dir?«
    »Ich bin allein«, stieß der Junge hervor.
    Patrick war schwindelig und sein Puls raste, aber er nahm vage wahr, wie der Officer über Funk Meldung machte: »Sterling, wir haben einen Verdächtigen festgenommen; wir wissen nicht, ob noch jemand beteiligt ist.«
    So plötzlich, wie es begonnen hatte, war es vorbei - soweit so etwas überhaupt je vorbei sein konnte. Patrick wusste nicht, ob irgendwo in der Schule womöglich Sprengsätze versteckt waren. Er wusste nicht, wie viele Menschen getötet worden waren, wie viele Verletzte das Dartmouth-Hitchcock Medical Center und das Alice Peck Day Hospital aufnehmen konnten. Der mutmaßliche Täter war überwältigt, aber wie viel nicht wiedergutzumachenden Schaden hatte er angerichtet? Patrick begann, am ganzen Körper zu zittern, und er wusste, dass er für so viele Schüler und Eltern und Bürger wieder einmal zu spät gekommen war.
    Er machte ein paar Schritte und fiel auf die Knie, eigentlich, weil ihm einfach die Beine wegknickten, doch er tat so, als wollte er sich um die beiden Opfer kümmern, die am anderen Ende des Raumes lagen. Er hörte, wie der Officer den Schützen abführte, aber er drehte sich nicht noch einmal um, sondern konzentrierte sich ganz auf den Körper vor ihm auf dem Boden.
    Ein Junge, der ein Hockeytrikot trug. Unter einer Seite war eine Blutlache, und er hatte eine Einschusswunde in der Stirn. Patrick hob die Baseballkappe auf, die dem Jungen vom Kopf gefallen war. Sie trug den gestickten Schriftzug STERLING HOCKEY.
    Das Mädchen daneben lag mit dem Gesicht nach unten, Blut breitete sich unter ihrer Schläfe aus. Sie war barfuß, und
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