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19 Minuten

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Titel: 19 Minuten
Autoren: Jodi Picoult
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ihre Zehennägel waren leuchtend pink lackiert - fast die gleiche Farbe, mit der Tara Patrick aus Spaß die Nägel verziert hatte. Sein Herz setzte einen Schlag aus. Dieses Mädchen war genau wie seine Patentochter und ihr Bruder und Millionen andere Mädchen und Jungen heute Morgen aufgestanden und zur Schule gegangen, ohne die Gefahr auch nur zu ahnen, in die sie geraten würde. Sie hatten darauf vertraut, dass all die Erwachsenen ihre Sicherheit garantieren würden. Sie vor Angriffen schützen würden.
    Plötzlich bewegte sich das Mädchen. »Helfen ... Sie ... mir ...«
    »Ich bin ja da«, sagte Patrick und berührte sie sanft. »Bleib ganz ruhig.« Er drehte sie ein wenig herum, bis er sah, woher das Blut kam. Sie hatte eine Wunde am Kopf, aber nicht von einer Kugel, wie er vermutete. Er tastete ihre Gliedmaßen ab. Er murmelte ihr beruhigende Worte zu, damit sie wusste, dass sie nicht mehr allein war. »Wie heißt du?«
    »Josie...« Sie versuchte, sich aufzusetzen, doch Patrick hinderte sie daran und schob sich zwischen sie und den Jungen. Sie stand bereits unter Schock, und er wollte nicht, dass sie völlig durchdrehte. Sie hob eine Hand an die Stirn, und als sie das Blut fühlte, fragte sie panisch: »Was ... ist denn passiert?«
    Anstatt ihr zu antworten, hob Patrick Josie auf und trug sie aus dem Umkleideraum, in dem sie beinahe getötet worden wäre, die Treppen hinunter und durch die Schultür nach draußen, als könnte er sie beide retten.

Siebzehn Jahre zuvor
    Lacy wusste natürlich besser als irgendwer sonst, dass alle Babys verschieden waren - winzige Geschöpfe mit eigenen Vorlieben und Gewohnheiten und Launen und Wünschen. Aber sie war unwillkürlich davon ausgegangen, dass ihr zweiter Anlauf in Sachen Mutterschaft ein Kind wie ihr erstes hervorbringen würde - wie Joey, ein richtiges Wonnebaby, das immer von Passanten bewundert worden war, wenn sie ihn im Kinderwagen spazieren fuhr. Ein Sonnenschein, der jeden mit einem Strahlen bedachte. Peter war genauso schön, aber er war eindeutig viel anstrengender. Er schrie endlos, wenn er Koliken hatte, und beruhigte sich erst wieder, wenn er in seinem Autositz auf den vibrierenden Wäschetrockner gestellt wurde. Und manchmal wollte er sich partout nicht stillen lassen, ohne dass Lacy die leiseste Idee gehabt hätte, was mit ihrem zweiten Sohn los sein könnte.
    Es war zwei Uhr morgens, und die übermüdete Lacy versuchte, Peter wieder zum Einschlafen zu bringen. Anders als Joey, der immer auf der Stelle einschlief, wehrte Peter sich vehement dagegen. Sie streichelte seinen Rücken und rieb kleine Kreise zwischen seinen winzigen Schulterblättern, während er wimmerte und heulte. Eines stand fest, ihr war auch nach Heulen zumute. Seit zwei Stunden mühte sie sich nun schon ab, und vor Erschöpfung tat ihr alles weh. »Was ist denn nur los, lieber kleiner Mann?«, seufzte sie. »Wie kann ich dich bloß glücklich machen?«
    Glück war relativ, laut ihrem Mann. Er musste es wissen, denn er befasste sich beruflich damit, einen Preis für Freude festzusetzen, und das war schließlich genau das, was Volkswirtschaftler machten: für die immateriellen Dinge im Leben messbare Werte zu finden. Lewis' Professoren-Kollegen am Sterling College hatten Aufsätze über die relativen Vorteile einer guten Ausbildung oder allgemeiner Gesundheitsfürsorge oder Zufriedenheit im Beruf verfasst. Lewis' Spezialgebiet war nicht weniger wichtig, wenn auch unorthodox. Es machte ihn zu einem beliebten Gast in Talkshows, denn offenbar wurde das Jonglieren mit Zahlen erotischer, wenn es um den Gegenwert eines herzhaften Lachens ging oder auch um den von regelmäßigem Sex.
    Allerdings konnte einem Menschen das, was ihn früher glücklich gemacht hatte, heute bedeutungslos erscheinen. So hätte Lacy vor fünf Jahren alles dafür gegeben, von ihrem Mann einen Strauß roter Rosen zu bekommen; während bei ihr heute die Aussicht darauf, zehn Minuten ungestört zu schlafen, reines Entzücken ausgelöst hätte.
    Lewis hatte eine mathematische Formel für Glück aufgestellt: R:E, Realität dividiert durch Erwartungen. Es gab zwei Wege zum Glück: die Realität verbessern oder die Erwartungen niedriger schrauben. Einmal hatte Lacy ihn auf einer Party gefragt, was passieren würde, wenn ein Mensch gar keine Erwartungen hätte. Hieß das, dass man nie glücklich werden könne, wenn man alle Schläge des Lebens einsteckte? Später, auf der Fahrt nach Hause, hatte Lewis ihr ärgerlich
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