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19 Minuten

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Titel: 19 Minuten
Autoren: Jodi Picoult
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und niemand hört einen Laut...« Ihre Stimme klang wie von weit her. »Du bist das Wesen, das irgendwann mal normal war, aber das ist so lange her, dass du nicht mal mehr weißt, wie das war.«
    »Ich versteh nicht ...«
    »Wie denn auch? Du bist ja so perfekt.« Josie schüttelte den Kopf. »Wir Übrigen, wir sind alle wie Peter. Manche von uns können es nur besser verbergen. Wo ist denn der Unterschied, ob du dich dein Leben lang möglichst unsichtbar machst oder so tust, als wärst du so, wie du meinst, dass alle dich gern hätten? So oder so bist du unecht.«
    Alex dachte an all die Partys, auf denen man sie als Erstes gefragt hatte, Was machen Sie beruflich als genügte das, um dich zu definieren. Dabei konntest du Richterin sein oder Mutter oder Träumerin. Du konntest Einzelgänger sein oder Visionär oder Pessimist. Du konntest das Opfer sein, und du konntest der Peiniger sein.
    »Was wird jetzt mit mir passieren?«, fragte Josie, dieselbe Frage, die sie vor einem Tag gestellt hatte, als Alex noch glaubte, sie sei qualifiziert, Antworten zu geben.
    »Was wird jetzt mit uns?«, berichtigte sie.
    Ein Lächeln huschte über Josies Gesicht, fast ebenso schnell verschwunden, wie es gekommen war. »Ich hab zuerst gefragt.«
    Die Tür zu dem Besprechungsraum öffnete sich, Licht fiel aus dem Flur herein. Alex ergriff die Hand ihrer Tochter und atmete tief durch. »Komm, finden wir's raus«, sagte sie.
    Peter wurde des achtfachen Mordes und zweifachen Totschlags für schuldig befunden. Im Fall von Matt Royston und Courtney Ignatio stellten die Geschworenen fest, dass er nicht vorsätzlich und geplant gehandelt hatte. Er war provoziert worden.
    Nachdem das Urteil gesprochen worden war, ging Jordan zu Peter in die Wartezelle. Er würde erst nach Verkündigung des Strafmaßes wieder ins Gefängnis gebracht werden; danach würde man ihn in die Strafanstalt in Concord überstellen. Mit einem Schuldspruch wegen achtfachen Mordes würde er das Gefängnis nicht mehr lebend verlassen.
    »Wie geht's dir?«, fragte Jordan und legte Peter eine Hand auf die Schulter.
    »Okay.« Er zuckte die Achseln. »Ich hab irgendwie gewusst, dass es so kommen würde.«
    »Aber sie haben dich zumindest gehört. Deshalb haben sie auch in zwei Fällen auf Totschlag entschieden.«
    »Danke, dass Sie's versucht haben.« Er lächelte Jordan schief an. »Ein gutes Leben wünsch ich Ihnen.«
    »Ich komm dich besuchen, wenn ich mal in Concord bin«, sagte Jordan.
    Er sah Peter an. Sein Mandant war in den sechs Monaten erwachsen geworden. Peter war jetzt so groß wie Jordan. Wahrscheinlich sogar ein bisschen schwerer. Er hatte eine tiefere Stimme bekommen und einen Bartschatten. Jordan wunderte sich, wieso ihm das nicht schon früher aufgefallen war.
    »Tja«, sagte Jordan. »Es tut mir leid, dass es nicht so gekommen ist, wie ich gehofft hab.«
    »Mir auch.«
    Peter streckte ihm die Hand hin, doch Jordan umarmte ihn stattdessen. »Mach's gut.«
    Er wandte sich zum Gehen, aber Peter rief ihn zurück. Er hielt ihm die Brille hin, die Jordan ihm zu Prozessbeginn mitgebracht hatte. »Die gehört Ihnen«, sagte Peter.
    »Behalt sie. Du kannst sie besser gebrauchen.«
    Peter schob Jordan die Brille in die Brusttasche seines Jacketts. »Mir gefällt der Gedanke, dass Sie sie aufbewahren«, sagte er. »Und es gibt auch gar nicht mehr viel, das ich sehen möchte.«
    Jordan nickte. Er verließ die Zelle und verabschiedete sich von den Deputys. Dann ging er in die Lobby, wo Selena auf ihn wartete.
    Als er auf sie zuschritt, setzte er Peters Brille auf. »Was willst du denn damit?«, fragte sie.
    »Sie gefällt mir irgendwie.«
    »Du kannst doch tadellos sehen«, wandte Selena ein.
    Jordan bemerkte, wie die geschliffenen Gläser die Welt an den Rändern verbogen, sodass er sich behutsamer durch sie hindurch bewegen musste. »Nicht immer«, sagte er.
    Einige Wochen nach dem Prozess gab Lewis wieder ein Seminar am Sterling College - eine Einführung in die MikroÖkonomie. Das Semester hatte erst Ende September begonnen, und Lewis merkte, wie nahtlos er sich in den Lehrbetrieb einfügte. Wenn er über Keynesianische Modelle und neue Produkte und den freien Markt sprach, dann war das Routine und fiel ihm so leicht wie in der Zeit vor Peters Verurteilung.
    Lewis schritt während des Seminars die Gänge auf und ab -und so fielen ihm die zwei Burschen ganz hinten auf, die es offenbar lustig fanden, einem Kommilitonen zwei Reihen weiter vorn aus einer Flasche Wasser in
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