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19 Minuten

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Titel: 19 Minuten
Autoren: Jodi Picoult
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emotionalen Trost. Und jetzt saß sie hier, und Josie würde gleich als Zeugin in einer Arena auftreten, die Alex besser kannte als jeder andere, und dennoch hatte sie keine juristischen Ratschläge auf Lager, mit denen sie ihr hätte helfen können.
    Es würde beängstigend sein. Es würde schmerzlich sein. Und Alex konnte nichts anderes tun als zuschauen, wie Josie litt.
    Ein Gerichtsdiener kam heraus. »Euer Ehren«, sagte er. »Wenn Ihre Tochter jetzt so weit wäre?«
    Alex drückte Josies Hand. »Erzähl ihnen einfach alles, was du weißt«, sagte sie. Dann stand sie auf, um ihren Platz im Zuschauerraum einzunehmen.
    »Mom?«, rief Josie ihr nach, und Alex drehte sich um. »Was ist, wenn das, was du weißt, nicht das ist, was die Leute hören wollen?«
    Alex versuchte zu lächeln. »Sag die Wahrheit«, riet sie. »Dann kannst du nicht verlieren.«
    Als Josie zum Zeugenstand ging, kam Jordan seiner Offen-legungspflicht nach und reichte Diana eine Zusammenfassung von Josies Aussage. »Wann haben Sie das bekommen?«, flüsterte die Staatsanwältin.
    »Dieses Wochenende. Tut mir leid«, sagte er. Er ging auf Josie zu, die schmal und blass aussah. Sie trug das Haar zu einem ordentlichen Pferdeschwanz gebunden und hatte die Hände im Schoß gefaltet. Sie wich geflissentlich allen Blicken aus, indem sie sich auf die Holzmaserung im Geländer des Zeugenstandes konzentrierte.
    »Nenn bitte deinen Namen.«
    »Josie Cormier.«
    »Wo wohnst du, Josie?«
    »East Prescott Street 49, in Sterling.«
    »Wie alt bist du?«
    »Siebzehn.«
    Jordan trat einen Schritt näher, damit nur Josie ihn hören konnte. »Siehst du?«, murmelte er. »Das reinste Kinderspiel.« Er zwinkerte ihr zu und meinte sogar ein winzig kleines Lächeln auf ihrem Gesicht zu sehen.
    »Wo warst du am Morgen des sechsten März 2007?«
    »In der Schule.«
    »Welches Fach hattest du in der ersten Stunde?«
    »Englisch«, antwortete Josie leise.
    »Und in der zweiten Stunde?«
    »Mathe.«
    »Dritte Stunde?«
    »Das war eine Freistunde.«
    »Wie hast du die verbracht?«
    »Mit meinem Freund«, sagte sie. »Matt Royston.« Sie blickte zur Seite, blinzelte nervös.
    »Wo warst du mit Matt während der dritten Stunde?«
    »Zuerst in der Cafeteria. Und dann sind wir zu seinem Spind gegangen, vor der nächsten Stunde.«
    »Was ist dann passiert?«
    Josie hielt den Blick gesenkt. »Auf einmal war unheimlich viel
    Lärm. Und Leute rannten los. Einige schrien was von Waffen, von irgendwem mit einer Waffe. Ein Freund von uns, Drew Girard, hat uns dann gesagt, dass es Peter war.«
    Plötzlich blickte sie auf und sah Peter in die Augen. Einen langen Moment starrte sie ihn bloß an, dann schloss sie die Augen und wandte sich wieder ab.
    »Wusstest du, was los war?«
    »Nein.«
    »Hast du jemanden schießen sehen?«
    »Nein.«
    »Wo seid ihr hingelaufen?«
    »In die Turnhalle. Wir sind quer durchgelaufen und in die Umkleide. Ich wusste, dass er näher kam, weil die Schüsse lauter wurden.«
    »Wer war bei dir, als du in den Umkleideraum gelaufen bist?«
    »Ich dachte, Drew und Matt, aber als ich mich umdrehte, war Drew nicht mehr da. Er war getroffen worden.«
    »Hast du gesehen, wie Drew angeschossen wurde?«
    Josie schüttelte den Kopf. »Nein.«
    »Hast du Peter gesehen, ehe du im Umkleideraum warst?«
    »Nein.« Josies Gesicht verzog sich, und sie wischte sich über die Augen.
    »Josie«, sagte Jordan, »was ist dann passiert?«

10 Uhr 16, 6. März 2007
    »Duck dich«, zischte Matt und drückte Josie hinter der Holzbank zu Boden.
    Es war kein gutes Versteck, aber im ganzen Umkleideraum gab es nirgendwo ein gutes Versteck. Matt hatte vorgehabt, durch das kleine Fenster im Duschraum nach draußen zu klettern, und er hatte es sogar schon geöffnet, doch dann hatten sie aus der Turnhalle Schüsse gehört und erkannt, dass sie nicht mehr genug Zeit hatten, die schwere Bank rüberzuziehen und hinauszuklettern. Sie saßen in der Falle.
    Josie rollte sich zusammen, und Matt ging vor ihr in die Hocke. Ihr Herz dröhnte gegen seinen Rücken, und immer wieder vergaß sie zu atmen.
    Er griff hinter sich und tastete nach ihrer Hand. »Falls irgendwas passiert, Jo«, flüsterte er. »Ich hab dich geliebt.«
    Josie fing an zu weinen. Sie würde sterben, sie würden alle sterben. Sie dachte an die vielen Dinge, die sie noch so gern getan hätte: nach Australien reisen, mit Delfinen schwimmen. Den Text von Bohemian Rhapsody auswendig lernen. Aufs College gehen.
    Heiraten.
    Sie drückte
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