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1894 - Das vergessene Volk

Titel: 1894 - Das vergessene Volk
Autoren: Unbekannt
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sie.
    Tausende von Jahren sind es jetzt schon! Und das bringt mich dazu, doch einen Sinn in meinen Aufzeichnungen zu sehen: damit wenigstens unsere späteren Nachkommen, falls sie sich anpassen können und es noch welche geben wird, sich an uns erinnern werden und erfahren, welche Bedeutung wir einst hatten ...
    Unsere Aufgabe war es seit „Icher, über die Tetragonalen zu wachen. Der erste Shaogen-Seelenhirte hat sie erbauen lassen, und darin ist der gesamte Wissensschatz gespeichert. Hier auf Kolkenhain befindet - sich also das wahre Uralte Archiv.
    Doch niemand interessiert sich mehr dafür. Seit Hunderten von Jahren ist kein Seelenhirte mehr bierhergekommen, um sich dieses Wissen anzueignen. Das kann ich gar nicht verstehen.
    Doch muß ich gestehen, daß keiner von uns viel darüber nachdachte, denn wir führen schließlich unser eigenes Leben. Es lag nie in unserem Interesse, sich in die Belange der Mönche einzumischen. Wir haben die Pflicht der Wache an jede Generation weitergegeben, weil so die Vereinbarung zwischen unseren Urahnen und dem ersten Seelenhirten lautete.
    Als Gegenleistung dafür wurden wir mit dem versorgt, was wir am nötigsten brauchen. Über viele Jahrhunderte und Zehner-Zyklen hinweg. Das bedeutete, daß wir immer noch unsere Pflicht zu erfüllen hatten, auch wenn wir keinen Kontakt mehr bekamen.
    Doch nun sind sogar die Lieferungen ausgeblieben. Wir sind völlig in der Kälte, wir wissen nicht, was aus den Mönchen geworden ist. Haben sie sich verändert? Oder existieren sie nicht mehr? Wurde mit dem Erlöschen des Sternlichts auch die letzte Erinnerung an uns ausgelöscht?
    Ich finde keine Antwort darauf, und inzwischen ist es auch nicht mehr von Bedeutung. Nichts ändert sich, wir sind verlassen, wir leiden schrecklichen Hunger, und die Trauer droht uns mehr und mehr zu übermannen.
    Ich möchte aber nicht aufgeben, deshalb zwinge ich mich zum Schreiben, auch wenn ich dabei viel Energie verbrauche. Ich kann nicht zusehen, wie sie alle dahinsiechen, und ich weigere mich, mich in mein Bett zu verkriechen und auf das Nichts zu warten. Ich will es noch nicht erfahren. Wenn meine Zeit gekommen ist, werde ich früh genug wissen, was aus unserem Glauben und dem Göttlichen geworden ist.
    Die letzte Erfahrung meines Lebens, die ich niemandem mehr mitteilen kann. So ist sie im Grunde überflüssig. Aber wir können ihr nicht entgehen, nicht wahr?
    Gerade eben ist Prurro zu mir gekommen. Meine jüngste Tochter. Es schmerzt mich sehr, sie leiden zu sehen. Sie ist die letzte Überlebende meiner Familie, alle anderen haben mich längst verlassen. Die meisten schon vor dem Erlöschen des Sternlichts, die anderen danach.
    Ich habe sie alle überlebt, wie es meistens bei Vorstehern vorkommt. Man wird dazu geboren und eines Tages auserwählt, doch die lange Lebenskraft kann man seinen Kindern nicht vererben. Sie kommt willkürlich vor.
    Prurro ist kurz vor dem schrecklichen Stillstand geboren worden. Ich habe sie allein aufgezogen, deshalb hänge ich so sehr an ihr. Sie war so ein hübsches Kind, fröhlich und klug.
    Doch nun ist sie schon so gebeugt wie eine alte Frau, mit langer Nase und fahler Haut.
    „Was schreibst du da?" fragt sie mich.
    Ich muß beinahe lächeln. Es ist seltsam, diese Szene synchron mitzuschreiben, doch irgendwie hat es mich gepackt, ich kann ‘nicht mehr aufhören.
    „Ich schreibe über uns", antworte ich ihr. „Über die letzten Lebens-Zyklen unseres Volkes, bevor wir alle dahingegangen sind."
    „Warum?", „Weil es meine Aufgabe als Vorsteher ist, das Erbe zu bewahren."
    „Aber Vater, niemand wird mehr kommen. Unsere Aufgabe ist beendet. Sie haben uns vergessen, oder sie brauchen uns nicht mehr. Jahrtausendelang hat kein Seelenhirte uns mehr besucht. Seit dem Erlöschen des Göttlichen wird es andere Aufgaben geben."
    „Aber möglicherweise liegt in den Tetragonalen die Lösung verborgen", wende ich ein. „Vielleicht gab es dereinst etwas Ähnliches oder eine Erinnerung an die Zeit vor den Seelenhirten. Warum kommen sie nicht hierher und überzeugen sich? Es ist ihr Archiv, ihr Wissen."
    „Dann sollten wir doch versuchen, das Archiv zu durchsuchen", schlägt Prurro vor.
    Darüber hat noch keiner von uns je nachgedacht. Wie kommt sie plötzlich darauf?
    „Ich weiß nicht", meine ich vorsichtig.
    „Ist es denn verboten worden?" fragt sie.
    Ich denke nach. „Nein."
    Ich bin nicht sicher, aber ich glaube, nicht. Aber wer könnte das heute noch nachprüfen? Niemand
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