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1883 - Die schiffbrÃŒchige Stadt

Titel: 1883 - Die schiffbrÃŒchige Stadt
Autoren: Unbekannt
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Achseln. Loura mußte sich fragen, ob sie ihrem Amt noch gewachsen war. Hatte sie wirklich alles richtig gemacht? Und wenn nicht? Was, wenn die eine oder andere Fehlentscheidung aus ihrem Tablettenkonsum rührte?
    Unbewußt schüttelte sie den Kopf. Es hatte keinen Sinn, sich zu zerfleischen. Niemand außer dem Mediker hatte ihr Problem bemerkt, und keine einzige Entscheidung wäre ohne Medikamente anders ausgefallen.
    Als Zweite Bürgermeisterin hielt sie sich im Augenblick für nicht ersetzbar. Sie war eine Galionsfigur, der die Menschen trauten. Loura wollte das Vertrauen rechtfertigen. Keinem nützte es, wenn sie unter Selbstzweifeln zusammenbrach.
    Kan Danz ließ sie in Ruhe nachdenken. Nach einer Weile stand er auf, öffnete einen Schrank und nahm eine schwarze Schachtel heraus.
    „Hier, Loura. Ich habe in der Nacht ein Mittel synthetisieren lassen, das dir den körperlichen Entzug erspart. Und laß es nicht wieder deinen Elefanten fressen." Der Mediker lachte. „Das Zeug reicht für zwei Tage.
    Mehr bekommst du nicht, und mehr brauchst du nicht. Ich denke, damit haben wir es. Aber vergiß nicht, dein Hauptproblem ist seelischer Natur. Du solltest den Streß reduzieren."
    Loura hielt es nicht für nötig, darauf eine Antwort zu geben. Sie steckte die Schachtel ein.
    „Kann ich jetzt Matoto sehen?"
    „Kein Problem." ‘ Der Mediker führte sie auf den Flur, einige Türen weiter, dann in ein Gehege mit Steppenpflanzen und einem Wassertopf.
    Matoto hob den Rüssel, als er sie sah, und stieß ein erfreutes Trompeten aus. Loura fand, daß es ein bißchen dünn klang.
    Sie kniete sich hin und nahm ihn in die Arme. Seine Flanken zitterten etwas, und sein Rüssel fühlte sich unangenehm kühl an.
    „Geht’s ihm wirklich gut?" zweifelte sie.
    „Nach Menschenermessen ja. Dein Elefant ist in einem gesetzten Alter. Gib ihm noch einpaar Tage, bei gutem Futter und ein bißchen Schonung. Vielleicht mag er’s ja, verwöhnt zu werden."
    „Das könnte ich mir fast vorstellen."
    Loura gab dem Mediker die Hand und bedankte sich.
    Sie begab sich aufs Dach der Klinik, wo sie ihren Schweber geparkt hatte. Matoto trottete neben ihr her.
    Ab und zu stieß der Kleine ein empörtes Schnaufen aus. Wahrscheinlich wollte er wirklich getragen werden.
    Loura versetzte ihm einen Klaps auf die Flanke und ließ ihn auf den Beifahrersitz hopsen. Matoto liebte Gleiterflüge.
     
    *
     
    Nichts passierte. Es half wenig, aus dem Fenster zu starren. Davon kamen sie auch nicht auf die Erde zurück. Loura versuchte statt dessen, sich mit Arbeit zu betäuben.
    Obwohl ihr Wachdienst erst in der Nacht begann, befaßte sie sich mit den Details der Versorgung. Die Vorräte in den Kaufhäusern reichten für fünf weitere Tage. Danach mußte man rationieren und an Recycling denken.
    Sie erteilte an die Aufbereitungsanlagen den Befehl, Abfall unter keinen Umständen zu vernichten, sondern auch bei erhöhtem Energiebedarf in Nahrung umzuwandeln.
    Strom hatten sie genug - zu essen möglicherweise nicht.
    Loura Gaikunth war sich darüber im klaren, daß auch die konsequente Wiederverwertung nicht bis in alle Ewigkeit half. Fünfzig Prozent aller Stoffe, die von Menschen konsumiert wurden, gingen in einer Stadt dem Kreislauf verloren, auf die eine oder andere Art.
    Wenn nicht in einer Woche Abhilfe geschaffen war, begann der Hunger.
    Jetzt fange ich schon an, in Wochen zu rechnen. Habe ich denn keine Hoffnung mehr?
    Privater Abfall durfte ab morgen nicht mehr desintegriert werden, sondern gehörte in eine zentrale Verwertungsstelle. Sie mußten versuchen, Kalkutta-Nord in ein geschlossenes System zu verwandeln, so wie ein Raumschiff, mit funktionierendem Stoffkreislauf.
    Loura versuchte, die finsteren Gedanken zu verbannen. Aber der Verstand ließ sich nicht ausschalten. Je länger es mit der Rückkehr dauerte, desto größer die Gefahr.
    Zwischendurch widmete sich Loura Matoto immer wieder für ein paar Minuten. Der Kleine war das nicht gewohnt. Im Büro pflegte sie ihn links liegenzulassen. Entsprechend häufig bekam sie ein’ behagliches Trompeten zu Gehör, und Loura freute sich darüber. Einen kleinen Elefanten zu verwöhnen schien ihr definitiv einfacher, als in einem abgeschnittenen Stadtteil Entscheidungen zu treffen.
    Tyra Ndoram meldete sich am Ende des Tages.
    Die Referentin betrat das Büro der Zweiten Bürgermeisterin, als sei nichts gewesen. Bei sich trug sie einen Stapel Folien. Man konnte sehen, daß die meisten beschriftet waren.
    Loura
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