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185 - Ein Albtraum erwacht

185 - Ein Albtraum erwacht

Titel: 185 - Ein Albtraum erwacht
Autoren: Michael M. Thurner
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Anangu und befahlen ihr, loszulaufen.
    Zuvor jedoch nahmen sie Aruula das Schwert weg, das sie eng an sich gedrückt gehalten hatte.
    Trotz der Waffenhilfe, die sie gestern während der Abendstunden geleistet hatte, vertraute man ihr nicht. Man hielt sie wie eine mehr oder weniger wertvolle Gefangene.
    Und das Schlimmste daran war: Aruula fehlte die Kraft, um sich gegen ihr Schicksal aufzulehnen. Hatte sie bislang geglaubt, nach der Zeit in der Traumwelt unter einer gewissen Schwäche zu leiden, so wurde ihr nun bewusst, dass sie unter dem Einfluss der Anangu stand. Die Männer steuerten ihr Verhalten. Befahlen ihr einzuschlafen oder aufzuwachen, wie es ihnen beliebte.
    Die Barbarin schloss die Augen. Zorn wuchs in ihr. Sie fühlte sich so… so ohnmächtig angesichts dieser Fremden, die so ganz anders reagierten als die Menschen in Euree. In gewisser Weise erschienen ihr die Anangu ebenso unbegreifbar wie die Daa’muren.
    »Ajooj!«, riefen nun alle Männer wie auf Kommando. Sie trabten los, wurden allmählich schneller, bis sich derselbe eintönige Rhythmus wie gestern in Aruulas Bewusstsein einbrannte.
    Jeder Gedanke an Widerstand erlosch in der Barbarin. Sie wusste nicht mehr, was sie inmitten dieser Wüste verloren hatte. Selbständige Gedanken erloschen, wurden von der Monotonie der Reise weggesengt. Sie war bloß noch ein Körper, der sich vorwärts bewegte, einen Fuß vor den anderen setzte, durch glühende Hitze, den ganzen Tag lang…
    2.
    Längst hatten sie ihre Namen vergessen. Dieses Land hatte sie ihnen ausgebrannt und lediglich die Erinnerung an den Plan gelassen.
    Es fiel ihnen schwer, sich gegen die Gleichgültigkeit zu wehren und einen mentalen Schutzschirm aufrecht zu erhalten.
    Immer wieder verzweifelten sie, mussten sich aneinander aufrichten und Trost zusprechen.
    Aber sie waren Sohn, Vater und Großvater. Vertreter dreier Generationen und zugleich Kinder zweier Welten.
    Nein – sie waren nicht blutsverwandt. Ähnlichkeiten, die sie aufwiesen, beruhten auf ihrem Interesse, etwas Neues, etwas Besonderes zu schaffen.
    Wann waren sie hierher gelangt? Vor fünfzig, hundert oder mehr Jahren? Hatte der Begriff der Zeit denn nicht schon längst jegliche Bedeutung verloren?
    Sie hatten die Kinder der wachsenden Siedlung zur Welt kommen und als Greise sterben sehen. Der Wechsel der Jahreszeiten war zur raschen Aufeinanderfolge unterschiedlichster Farben in einer bunten Welt geworden.
    Irgendwann, so wussten sie, würde alles enden. Der Älteste war schwach und krank. Er würde seinen Geist in die Hände vertrauenswürdiger Götter legen müssen. Zwar nicht heute, und auch nicht nächstes Jahr. Aber der Zeitpunkt nahte erbarmungslos.
    Dann würde der Vater zum Großvater werden, und der Sohn zum Vater. Und es würde an der Zeit sein, dass ein neuer Sohn herangezogen wurde. Einer, der so wie sie das Kind zweier Welten war.
    Die Chancen, ein derartiges Geschöpf mit ausreichend starken Fähigkeiten rechtzeitig zu finden, erschienen ihnen gering. Deswegen saßen sie oft inmitten ihrer riesigen Webknäuel und weinten.
    3.
    Die Tage vergingen ereignislos.
    Sie liefen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Wenn es das Gelände erlaubte, marschierten sie bis tief in die Nacht weiter.
    Aruulas gedemütigter Geist kannte keinen Widerstand mehr.
    Von den Anangu ging etwas Unwiderstehliches aus. Ab und zu tröstete sie sich mit dem Gedanken, nach wie vor in der Traumzeit zu stecken. Der Hauch jener mentalen Widerstandskraft, die sie sich bewahrt hatte, flüsterte ihr allerdings zu, dass dem nicht so war. Der Dauerlauf quer durch kahles Wüstenland war so real wie nur irgendwas.
    »Ich kann nicht mehr«, keuchte sie am Ende des vierten Tages. Die entzündeten Stellen zwischen den Beinen und unter den Achseln ließen sich selbst mit der Wundersalbe der Anangu nicht mehr ausreichend behandeln. Blasen und offene Wunden an den Fußsohlen vergrößerten die Schmerzen.
    Hunger sowie Durst, die in ihren Eingeweiden bohrten, schienen ihr kaum noch erträglich.
    Die Dunkelhäutigen hielten ein wenig früher als sonst an.
    Noch bevor die Sonne unterging, befahlen sie ihr mit deutlichen Gesten, in weitem Abstand zum Lagerfeuer Platz zu nehmen. Dann brachten sie ihr, so wie jeden Abend, getrocknetes Fleisch und eiweißhaltige Gehirnmasse der Gangooroos. Und wie jeden Abend zwang sie sich dazu, es herunter zu schlingen.
    Wind frischte auf. Er brachte fremdartige Gerüche mit sich.
    Jener Anangu, der sich zumeist mit ihr
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