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181 - Der ewige Turm

181 - Der ewige Turm

Titel: 181 - Der ewige Turm
Autoren: Jo Zybell
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Kampfgeschrei hallte über die Lichtung.
    Rulfan sah, wie die verschiedenen Marschrichtungen der Turmrottenkrieger ins Stocken gerieten. Er schöpfte wieder Hoffnung.
    Im selben Moment hallte ein Lärm wie von einer kleinen Explosion durch die Nacht. Rulfan sprang auf.
    Schusslärm? Hier? Er blickte nach Osten. Dort ragten die Umrisse des ewigen Turms in den Morgenhimmel. In Höhe der Brücke, die beide Ruinen verband, sah er das Luftschiff hinter dem größeren Gebäude verschwinden.
    Und wieder dröhnte der Lärm eines Schusses durch den Morgen.
    ***
    Victorius sah den zweiten Barbaren in die Tiefe stürzen.
    Er nickte grimmig und stützte den Kolben der Arquebuse auf den Gondelboden. »Es sind Tiere, Titana, wilde Tiere! Wenn Victorius sie nicht abschießt, werden sie dem armen Kind widerliche Dinge antun!«
    Mit dem Ladestock stopfte er die nächste Kugel in den Lauf, dann klemmte er die Büchse unter den Arm und kippte aus einem Horn Pulver in die Pfanne. Blitzschnell ging das alles. »Dinge, die zu widerlich sind, als dass Victorius sie dir schildern möchte.« Er legte an und spannte den Hahn. »Sei froh, dass du ihre Gedanken nur spüren und nicht verstehen musst.« Er zielte auf das Fenster neben der Brücke. Die Gestalten dahinter gestikulierten heftig. Nichts an ihrer Haltung sprach dafür, dass sie die Gefahr begriffen, in der sie schwebten.
    Victorius zielte genau.
    Titana, seine Zwergfledermaus, hing reglos an ihrem Netz über dem Kartentisch. Sie hielt die Augen geschlossen. Schwer zu sagen, ob sie die Worte ihres Herrn verstand; schwer zu sagen sogar, ob sie ihm überhaupt zuhörte. Das mit Flaum und Fell gefüllte Netz, an dem sie hing, schaukelte sanft hin und her.
    Nicht einmal als der dritte Schuss krachte, regte sich das kleine Wesen.
    Victorius war ein guter Schütze. Drei Schuss, drei Treffer. Nur der ewig junge Kaiser brachte es sonst noch auf diese Quoten. Hinter der Fensteröffnung sah dessen gelehriger Schüler und Sohn, Prinz Victorius, den dritten getroffenen Barbaren zusammenbrechen. Die anderen sieben hatten genug, sie flohen. Die Art, wie sie das taten – stolpernd, mit den Armen rudernd, die Fackeln schwenkend und ohne sich um den Verwundeten zu kümmern – verriet ihm die Panik dieser Verbrecher. Ihre Gedanken lesen konnte er auf die Entfernung nicht. Dazu hätte Titana sich in ihrer Nähe aufhalten müssen.
    »Siehst du, wie sie laufen, die Bösewichte?« Der dunkelbraune Hüne mit dem pinkfarbenen Haar lachte grimmig. Hinter den Fensteröffnungen zwei Stockwerke tiefer huschte Fackelschein vorbei. Vorsichtshalber stemmte er den Büchsenkolben auf den Boden, holte die nächste Kugel aus der Gurtasche und lud die Arquebuse erneut. Er drückte die Flinte in die Wandhalterung, griff nach seinem Fernrohr und richtete es auf die Brücke zwischen den Hochhausruinen. Das Mädchen hockte zwischen Gestrüpp, Fensterteilen und zerbrochenen Möbeln. Es hatte die Beine angezogen und verbarg seinen Kopf zwischen den Knien.
    »Armes Kind«, sagte Victorius. »Wir wollen ihm helfen, nicht wahr, Titana?« Er richtete sein Fernrohr auf das Waldgebiet, das die Türme umgab. Undeutlich erkannte er die Lichtung und einige Fackeln. Die Morgendämmerung hatte die Nacht inzwischen so weit verdrängt, dass er sogar einige Gestalten auf der Lichtung ausmachen konnte. Dank Titana wusste er, was sich dort unten abspielte. Er wusste es aus den Gedanken des armen Mädchens in der Brücke und aus den Gedanken der Wüstlinge im Turmraum hinter den Wänden.
    Er beobachtete die Maueröffnung mit dem Fernrohr.
    Zwei Gestalten erschienen an der Balustrade. Auch diese Verbrecher besaßen Fernrohre, erstaunlich für derartige Barbaren, fand Victorius. Diesmal standen sie allerdings nicht schutzlos und breitbeinig an der Fassadenlücke, sondern knieten rechts und links des Loches. »Es fühlt sich nicht mehr ganz sicher, das Gesindel. Victorius wird ihnen das Höllenfeuer noch ein wenig schüren.« Er nahm das Gewehr, kniete vor dem Fenster, legte an und zielte über die Turmbrücke hinweg auf die Fassadenlücke hinunter. Funken sprühten, der Schuss explodierte, Pulverdampf zog zum Fenster hinaus. Er griff zum Fernrohr und spähte hinunter – niemand zeigte sich mehr in der Lücke.
    Victorius stand auf. »Folgendes: Da sich das Kind nicht von uns retten lassen will, müssen wir dafür sorgen, dass andere sie retten, habe ich Recht?« Er blickte zur Zwergfledermaus. Zusammengefaltet hing sie am schaukelnden Netz.
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