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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories
Autoren: Manfred Kluge
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und sei­ne ner­vö­se An­span­nung stie­gen, je wun­der­ba­rer ihm das Er­leb­nis er­schi­en, mit ei­nem Mör­der die Klin­gen kreu­zen zu sol­len. Die­se Vor­stel­lung lock­te ihn an wie ein Ab­grund, und er kam sich so in­ter­essant vor, wie der Bän­di­ger ei­ner un­ge­heu­ren Ge­fahr, die un­faß­bar und des­halb um so grö­ßer und schö­ner ist. Er war dar­um ganz au­ßer sich und zwei­fel­te an der gött­li­chen Ge­rech­tig­keit, als er am Tag vor der Auf­füh­rung die An­zei­chen ei­ner schwe­ren In­flu­enza fühl­te. Trotz­dem er einen Teil sei­ner Mo­nats­ga­ge in Ko­gnak an­leg­te, zwang ihn das Fie­ber nach­mit­tags ins Bett, und der Arzt nahm ihm al­le Aus­sicht auf das große Er­leb­nis des mor­gi­gen Abends.
    Der Di­rek­tor und der Thea­ter­se­kre­tär wa­ren nicht we­ni­ger ver­zwei­felt, fluch­ten auf das schlech­te Wet­ter, das den Spiel­plan gar nicht be­ach­te und grif­fen gleich­falls zum Ko­gnak. Beim fünf­ten Glas mach­te der Se­kre­tär den Vor­schlag, den Laer­tes durch einen min­de­ren Dar­stel­ler zu be­set­zen. Aber der Di­rek­tor fuch­tel­te ihm sei­ne Ge gen­grün­de vor das Ge­sicht: nie … nie … nie wür­de Prinz ei­ne Be­set­zung durch ei­ne min­der­wer­ti­ge Kraft zu­ge­ben. »Er will sich doch ge­wis­ser­ma­ßen re­ha­bi­li­tie­ren. Glän­zend ein­füh­ren und al­les zei­gen, was er kann. Das ist ein­fach un­mög­lich.« Beim sie­ben­ten Glas end­lich er­strahl­te der Aus­weg in wun­der­ba­rer Hel­le. »Hil­de­mann aus Prag als Aus­hil­fe«, schrie der Se­kre­tär und er­hob sich halb von sei­nem Samt­fau­teuil, und »Hil­de­mann aus Prag«, don­ner­te der Di­rek­tor.
    Sie brach­ten ih­ren Vor­schlag vor Prinz, und er nick­te mit der düs­te­ren Mie­ne Ham­lets Ge­wäh­rung.
    »Hil­de­mann aus Prag ist gut«, sag­te Gu­stav Riet­schi und be­schwich­tig­te den Freund, den der Wech­sel doch un­ru­hig mach­te. »Mit Hil­de­mann brauchst du kei­ne Pro­be, der ist fest und hat schon mit den bes­ten Leu­ten ge­spielt, ver­laß dich auf ihn.« Hil­de­mann sag­te zu und ver­sprach zur rech­ten Zeit, noch kurz vor der Vor­stel­lung – frü­her war es ihm ein­fach un­mög­lich – ein­zu­tref­fen. Für Prinz war die­ser Tag der Auf­füh­rung voll ko­chen­der Un­ru­he.
    »Ich hät­te doch ger­ne noch mit ihm ge­probt«, sag­te er abends zum Gar­de­ro­bier, als er den De­gen um­häng­te. Dann schritt er auf der dunklen Büh­ne auf und ab und sah in das lee­re Haus, im­mer wie­der zu dem in die Schlei­er des Geis­tes gehüll­ten Freund zu­rück­keh­rend. »Ich bin sehr auf­ge­regt, ich bit­te dich, ver­laß mich nicht.«
    »Kein Wun­der, wenn du heu­te Lam­pen­fie­ber hast …«
    »Lam­pen­fie­ber? … Fast möch­te ich sa­gen Angst … Weiß der Teu­fel … ist Hil­de­mann schon hier?«
    »Ich weiß es nicht. Aber er ist ge­wiß schon hier.«
    Und Prinz wan­der­te wei­ter auf der noch mit al­lem Grau­en des Un­le­ben­di­gen er­füll­ten Büh­ne, vom Vor­hang zum Ran­de der Schloß­ter­ras­se von Hel­sin­gör und wie­der zu­rück, als ob er mit sei­nen Schrit­ten die Qual der Ein­sam­keit zer­rei­ßen woll­te. Die Wa­chen zo­gen auf und lehn­ten die Hel­le­bar­den an die ge­mal­ten Tür­me, um sich noch die Stie­fel hoch­zu­zie­hen und die Hals­krau­sen zu­rechtzu­ma­chen, und Ham­let er­schau­er­te vor ih­ren Schat­ten, als ob sie aus ei­ner frem­den, un­be­grif­fe­nen Welt über die Büh­ne krö­chen. Aus dem leb­haf­ten, ge­füll­ten Haus, aus dem mit Er­war­tun­gen ver­sam­mel­ten Pu­bli­kum kam ihm dies­mal kei­ne Zu­ver­sicht, und er wag­te nicht ei­ner Un­ru­he nach­zu­fra­gen, die hin­ter den Ku­lis­sen je­man­den zu ver­mis­sen schi­en.
    Das Zei­chen zum Be­ginn riß ihn em­por, und mit ei nem plötz­li­chen Er­schre­cken be­gann er das nun Un­wi­der­ruf­li che zu be­dau­ern. Die Fra­ge, warum er sich auf die­ses grau­sa­me Spiel voll un­be­hag­li­cher Er­in­ne­run­gen, voll blu­ti­ger Ge­stal­ten ein­ge­las­sen ha­be, be­stürm­te ihn, und er hoff­te nun, den Sinn des ver­zwei­fel­ten Hin und Her im Hin­ter­grun­de der Büh­ne im Aus­blei­ben Hil­de­manns zu fin­den. Dann war die
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