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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories
Autoren: Manfred Kluge
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über das nack­te Kinn rie­sel­ten. So grau­sam hat­te noch nie je­mand ge­lacht, so klir­rend und spitz war noch nie der Hohn der Büh­ne ge­we­sen, ei­ne gan­ze Samm­lung von fein aus­ge­klü­gel­ten Fol­ter­in­stru­men­ten, und das Pu­bli­kum ju­bel­te und konn­te sich vor Ent­zücken nicht fas­sen. Es fühl­te sich mit­ge­ris­sen, selbst dar­an be­tei­ligt und emp­fand die Qua­len die­ses Ge­hirns wol­lüs­tig an sich, wie das Knir­schen der Sä­ge in den Ope­ra­ti­ons­sä­len an­ge­nehm durch die ei­ge­nen Kno­chen geht.
    Der Thea­ter­arzt kam im Zwi­schen­akt auf die Büh­ne und fing Ham­let in ei­ner Ecke ein: »Sie rei­ben sich auf. Was trei­ben Sie heu­te?« Aber Prinz lach­te, stieß den Arzt grob von sich und rann­te, von sei­nem ver­zwei­fel­ten Freund be­glei­tet, fort, um Hil­de­mann zu su­chen. Sei­ne Angst wirk­te auf die üb­ri­gen Dar­stel­ler, und die Vor­stel­lung be­gann sich über den Schein der Büh­ne zur Ah­nung gräß­li­cher Be­deut­sam­keit zu er­he­ben. In al­le Tie­fen durch­wühlt, zit­ter­te die Dich­tung, und die Schau­spie­ler sa­hen sich in den Zwi­schen­ak­ten an, als ob sie nun den ei­gent­li­chen Sinn al­ler die­ser Vor­gän­ge er­fah­ren müß­ten.
    »Su­chen Sie, su­chen Sie«, schrie Ham­let dem In­spi­zi­en­ten, dem Re­gis­seur, den Gar­de­ro­bie­ren zu, und al­le such­ten den ver­schwun­de­nen Laer­tes.
    Als die Sze­ne sei­ner Rück­kehr im vier­ten Akt kam, war er plötz­lich da, be­trat die Büh­ne und füg­te sich kalt und stei­nern in das Spiel, als ob er nicht be­merk­te, daß die üb­ri­gen sich fürch­te­ten, na­he bei ihm zu ste­hen. Er be­sprach mit Kö­nig Clau­di­us den Mord Ham­lets und blieb ru­hig und si­cher, nur wie von ei­ner heim­li­chen Freu­de be­lebt, als ob sich et­was lang Er­sehn­tes nun end­lich un­ab­wend­bar er­fül­len müß­te. Ham­let hör­te hin­ter der Sze­ne, schwer auf den Freund ge­stützt, al­le Heim­lich­kei­ten des An­schla­ges ge­spannt an, und es schi­en, daß er sie wie neue und un­er­war­te­te Nach­rich­ten in sich über­win­den müs­se. Sei­ne Un­ru­he wur­de von ei­ner großen Schwe­re er­drückt und er­starr­te von ei­nem trä­gen, dro­hen­den Ko­loß, der aus klei­nen, grau­sa­men Au­gen blin­zelt. Aber die Hand­lung ström­te un­auf­halt­sam wei­ter und riß über al­le Ver­zö­ge­run­gen hin­weg, die Ham­let im Zwi­schen­akt zu er­fin­den such­te. Man ver­län­ger­te die Pau­se, und er ge­noß sie wie ei­ne Gna­den­frist, stumm mit dem Freund zwi­schen den Grä­bern auf und ab wan­dernd, die man für die nächs­te Sze­ne auf­warf.
    Auf dem Fried­hof, am Gra­be der Ophe­lia stie­ßen Ham­let und Laer­tes auf­ein­an­der. Es war ein An­prall, der das Pu­bli­kum er­schüt­ter­te, und grau­en­voll ernst ent­spann sich das Rin­gen in dem of­fe­nen Gra­be, ein Kampf, dem Ham­let mit lee­ren Au­gen und wan­ken­den Kni­en ent­kam.
    Den Bei­fall des Hau­ses drück­te die Angst, und nur Laer­tes er­schi­en auf der Büh­ne, mit lan­gen, selt­sam schlen­kern­den Ar­men und ei­nem Lä­cheln, das so durch­aus un­pas­send und wir­rend schi­en, wäh­rend Ham­let hin­ter der Sze­ne den Freund um­klam­mert hielt.
    »Das ist der Tod« – er keuch­te – »das ist der Tod.«
    »Un­sinn; halt aus, dann ist’s zu En­de.«
    »Es ist zu En­de … ja, denn das ist der Tod. Er hat­te mich ge­faßt und ließ mich noch ein­mal los. Hast du nicht ge­se­hen, wie sein an­de­res Ge­sicht auf­tauch­te, und als er mich preß­te, spür­te ich … ich spür­te … er at­met nicht. Er at­met nicht, Mensch!«
    »Du mußt nach­her gleich ins Bett. Du hast Fie­ber. Es hat dich zu sehr an­ge­grif­fen. Die Er­in­ne­rung ist noch zu stark …«
    »Sie ist wie­der le­ben­dig ge­wor­den, sie bringt mich um. Die­ser Laer­tes wird mich tö­ten. Ich will nicht mehr hin­aus …«
    Der Di­rek­tor und der Re­gis­seur be­kämpf­ten sei­nen Wi­der­stand, zer­bra­chen ihn und jag­ten Ham­let hin­aus.
    »Herr Prinz!« rief der In­spi­zi­ent.
    »Gleich.« Er pack­te den Freund bei der Schul­ter und riß sein Ge­sicht zu sich. »Ich muß dir’s sa­gen, be­vor ich ge­he. Ei­ner muß es wis­sen. Du! Das da­mals war kein
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