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178 - Die vergessene Macht

178 - Die vergessene Macht

Titel: 178 - Die vergessene Macht
Autoren: Stephanie Seidel
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um, schüttelte den Kopf und ging noch einmal zurück.
    »Bist du bescheuert oder was? Lass die Kutte in Ruhe und komm endlich!«
    Er wollte Jack am Ärmel mit sich zerren, packte aber ungeschickt zu. Der Stoff riss. Jack holte aus und verpasste dem Gefährten einen Kinnhaken, dass Haid quer durch den Raum taumelte. Dann stapfte er los. Er sah die Statue, die herunter zu stürzen drohte, hielt kurz an und stellte sie auf den Sockel zurück.
    Ordnungsliebe war eigentlich eine typisch deutsche Eigenschaft. Insbesondere hätte es kein Deutscher fertig gebracht, das gefallene Abbild seines Führers herum liegen zu lassen. Aber auch Jack als Brite folgte einem Automatismus, der vielen Menschen innewohnte – und genau auf den hatten die Erbauer der Anlage spekuliert.
    An den Wänden links und rechts flogen Klappfallen auf. Der Mechanismus dahinter war alt, die Stahlfedern hatten einiges an Spannkraft verloren. Es reichte aber noch, um zu töten.
    Haid war kaum wieder auf den Beinen und Jack noch nicht ganz an der Tür, da schoss ein Kreuzfeuer aus Glassplittern durch den Raum. Drei Stöße, kurz hintereinander. Scharfkantiges Glas spickte die Männer von oben bis unten. Es fuhr in die Augen, in den Hals, und zerschnitt alles erreichbare Fleisch.
    Daa’tan war gerade dabei, ein seltsames Zeichen am Boden zu untersuchen, als Jack und Haid zu schreien begannen. Crologg ließ die Fackel fallen.
    »Was zum…«, sagte er. Weiter kam er nicht.
    Etwas klickte, und das Schreien der Männer brach schlagartig ab. Daa’tan fuhr herum: Die Tür war verschwunden! Da waren plötzlich nur noch Mauern; dicke schwere Steinquader ohne den kleinsten Spalt.
    Kein Geräusch drang von außen herein, kein Licht, keine Luft.
    Der Junge sprang auf, um Crologg zu helfen. Dessen Kutte hatte sich an der Steinplatte verfangen, die den Eingang verschloss. Daa’tan gab ihm das Messer, das Kapitaan Bell ihm geschenkt hatte. Dann rannte er los.
    Daa’tan betastete die Wandreliefs, suchte fieberhaft nach einem versteckten Mechanismus, der den Ausgang wieder öffnen würde. Die Fackel am Boden flackerte schon. Ein, zwei Minuten noch, dann war sie erloschen.
    Der Zwölfjährige fürchtete sich vor diesem Moment.
    Doch das wahre Entsetzen erfasste ihn erst, als er zufällig nach oben sah. Knirschend und unaufhaltsam kam die Decke herunter!
    ***
    11. März 1940
    Es war kühl und regnerisch in Berlin. Wind spielte mit den Flaggen am Reichstag, im Grunewald blühten die Krokusse und an den Straßenbäumen prangte ein Knospenheer. Oberflächlich betrachtet sah die Stadt aus wie bei jedem Frühlingsanfang. In Wahrheit aber erstickte sie seit Jahren an der braunen Pest.
    Gegen 17:00 Uhr verließ Fräulein Ida Kuhlemann ihr Büro im Amt für Historienverwaltung und machte sich mit Schirm, Hut und Mantel auf den Heimweg. Fräulein Ida gehörte zu einer Sondereinheit, die frühe und mittelalterliche Dokumente auswertete. Die Arbeit war selbstverständlich geheim (warum sonst hätte man eine Sondereinheit damit betraut?), und genauso selbstverständlich besaß die junge blonde Frau einen Abstammungsnachweis. Er war ellenlang und ließ Fräulein Ida in den Augen der Behörden über jeden Zweifel erhaben sein.
    Deshalb wurde sie bei Bedarf auch zum Schreiben gewisser Aktenvermerke herangezogen. Sie waren noch geheimer als das übliche Auswerten von Hexenprozessen, denn sie dokumentierten einen Regierungsauftrag, den es offiziell gar nicht gab: die Suche nach verschollenen mystischen Gegenständen.
    Letzten Freitag war man auf etwas gestoßen. Die Spur schien viel versprechend, was in der Sondereinheit verhaltene Euphorie auslöste, denn nach dem Fiasko von 1936 wurde ein Erfolg allmählich zwingend. Nebenan im Reichstag hatten sie die Schlappe mit der Bundeslade (siehe »Jäger des verlorenen Schatzes«) noch immer nicht vergessen. Zumindest jene Herren nicht, deren Unterschrift für eine Beförderung gebraucht wurde.
    Fräulein Idas Vorgesetzter war ein Mann namens Müller. Er stand in engem Kontakt mit dem Chef des Militärischen Geheimdienstes, Walter Schellenberg, und war so fantasielos wie er hieß. Müller konnte gefälschte Abstammungsnachweise erkennen, auch wenn sie gut gemacht waren – aber tausend Jahre hätten nicht gereicht, um ihn auf den Gedanken zu bringen, dass Fräulein Ida selbst die Fälschung war.
    Wind wehte ihr entgegen, als sie auf die Prachtmeile Unter den Linden einbog. Er brachte ein paar Regentropfen mit, was die junge Frau zu
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