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1725 - Hängt die Hexe höher

1725 - Hängt die Hexe höher

Titel: 1725 - Hängt die Hexe höher
Autoren: Jason Dark
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sie.
    »Schau mich an, Clara!«
    Die Angesprochene schüttelte den Kopf. Sie baute eine innerliche Mauer auf. Sie wollte, dass Grace Golding ging, nur brachte sie es nicht fertig, es ihr zu sagen.
    Zugleich sah sie, dass sich die Augen ihrer Mieterin verändert hatten. Sie war nicht in der Lage, diesen anderen Ausdruck zu beschreiben.
    »Sieh mich an!«
    Clara wollte es nicht, doch sie musste den Befehl befolgen.
    Es war ihr, als hätte eine fremde Kraft sie übernommen, die ihren Willen lähmte. Sie wollte nicht hinschauen, und doch musste sie es tun. Wie unter Zwang hob sie den Kopf ein wenig an, und jetzt sah sie die Augen der anderen.
    Nur die Augen!
    Das Gesicht dahinter schien zu verschwimmen. Der Blick des Augenpaars war so kalt, so anders, so hypnotisch. Clara spürte, wie ihr Wille erlosch. Sie fühlte sich wie in einem See schwimmend, wurde weggetrieben, die normale Welt war nicht mehr vorhanden, überhaupt fühlte sie sich körperlos, und dann war nur die Stimme zu hören und eben diese Augen zu sehen, die etwas Forderndes ausstrahlten. Es war eine Kraft, der sie nichts entgegenzusetzen hatte.
    Und es kam noch etwas hinzu. Man konnte den Begriff Kraft auch durch einen anderen ersetzen.
    Macht!
    Ja, die Mieterin hatte Macht über Clara Duffin gewonnen und deren Willen ausgeschaltet.
    Sie hörte die Stimme, nur die befehlende Stimme. Sie schien aus einem Lautsprecher in ihre Ohren zu dringen.
    »Du wirst mir jetzt die Wahrheit sagen. Nur die Wahrheit. Verstehst du?«
    »Ja, ich habe verstanden.« Clara Duffin hatte die Antwort leise und roboterhaft gegeben.
    »Das ist gut, Clara. Du bist auf dem Friedhof gewesen?«
    »Ja.«
    »Bist du dort allein gewesen?«
    »Ich habe niemanden gesehen, ich war bei meinem Mann. Dann ging ich zurück zu meinem Fahrrad. Da habe ich festgestellt, dass ich meine Handtasche vergessen habe.«
    »Was hast du dann getan?«
    »Ich bin wieder zurückgegangen«, antwortete Clara tonlos.
    »Bist du da auch allein gewesen?«
    »Das bin ich.«
    »Aber es ist etwas passiert, nicht wahr?«
    Clara wollte die Antwort geben, sie hatte auch schon zum Sprechen angesetzt, aber sie schaffte es nicht. Kein Wort wollte über ihre Lippen dringen. Sie flüsterte etwas, das die andere nicht verstand, und so musste Grace Golding noch mal nachhelfen.
    »Die Wahrheit, Clara, nur die Wahrheit. Es ist etwas passiert, das spüre ich.«
    »Das ist es auch.«
    »Und was?«
    »Ich habe die Gehängte gesehen. Sie hing in einem Baum. Es ist eine Frau gewesen, die ich nicht kannte. Dann bin ich ohnmächtig geworden …«
    Clara sprach nicht mehr weiter. Ein leichter Schwindel hatte sie erfasst. Erst als Grace Golding eine weitere Frage stellte, kam sie wieder zu sich.
    »Ist dir noch etwas aufgefallen?«
    »Ja, die Stimmen. Ich wurde wach und hörte Stimmen. Daran kann ich mich erinnern.«
    »Sehr gut. Und was hast du gesehen?«
    »Nichts, gar nichts …«
    Grace Golding war zufrieden. Sie nickte langsam und formulierte ihre nächsten Worte.
    »Alles das, was du gesehen und gehört hast, wirst du ab jetzt vergessen, hast du verstanden?«
    Die Antwort kam prompt. »Ja, ich werde alles vergessen, ich weiß nichts mehr.«
    »Das ist gut, Clara. Du wirst noch zwei Minuten so sitzen bleiben und dann in die Normalität zurückkehren. Du wirst dich nur wundern, dass du hier sitzt und ein zweites Glas in deiner Nähe siehst, auch an meinen Besuch wirst du dich nicht mehr erinnern können. Hast du das alles verstanden?«
    »Ja, das habe ich.«
    Grace Golding sprach sie noch einmal an. Allerdings war nicht zu verstehen, was sie sagte, denn sie redete in einer völlig anderen Sprache.
    Dann stand sie auf und ging davon.
    Zwei Minuten hatte sie Clara Duffin gegeben. Diese Zeit wurde genau eingehalten, denn dann zuckte die Frau zusammen, schüttelte den Kopf und wischte über ihr Gesicht.
    »Mein Gott«, murmelte sie, »ich glaube, ich bin tatsächlich eingeschlafen.« Aus ihrer Kehle stieg ein leises Stöhnen. Sie spürte auch den leichten Schwindel und schob ihn auf den getrunkenen Alkohol, obwohl sie sich daran nicht so erinnern konnte.
    Aber noch etwas fiel ihr auf.
    Es war ein Geruch, ein Duft, der eigentlich nicht zu ihr passte, denn ein derartiges Parfüm benutzte sie nicht. Woher stammte es? Unbekannt war es ihr nicht.
    Aber wieso durchwehte es diese Luft hier?
    Sie nahm es nicht einfach hin. Sie dachte nach. Zudem fiel ihr auch der eigene Zustand auf. Er war nicht normal. Sie hatte den Eindruck, sich wie eine
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