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1715 - Gewächs des Grauens

1715 - Gewächs des Grauens

Titel: 1715 - Gewächs des Grauens
Autoren: Jason Dark
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Anzügen und weißen Handschuhen. Die Gesichter der beiden blieben maskenhaft. Sie sahen aus wie aus Blei gegossen und schauten über die Köpfe der Sitzenden hinweg. Nicht ein Muskel zuckte in ihren Gesichtern.
    Ich schaute mir den Katalog an und sah zum ersten Mal die Ikone, um die es ging.
    Sie zeigte keine Szene, sondern einfach nur ein Porträt. Gemalt worden war es in recht dunklen Farben, und es zeigte das Antlitz eines Mannes mit langen Haaren und einem eigentlich nichtssagenden Gesicht. Möglicherweise hatte der Künstler ihm einen frommen Ausdruck geben wollen. Bei mir erweckte dieser Ausdruck keine Empfindungen.
    Die Haare waren dunkel, enthielten auch einen rötlichen Schimmer, der von den Spitzen bis zu den Enden reichte. Der Mund war nicht ganz geschlossen, die Augen standen relativ dicht beisammen, und über den Lippen wuchs die schmale Nase.
    Ich las den Begleittext und erfuhr, dass dieses Bild einen Heiligen mit dem Namen Isidor darstellen sollte. Isidor stammte aus dem Osten, ohne dass ein genaues Land angegeben war. Er war ein Mystiker und auch Heiler gewesen, der von Stadt zu Stadt und von Kloster zu Kloster gezogen war, um seine Botschaften unter die Menschen zu bringen.
    Vor der Ikone wurde eine Figur versteigert, und als Erstes kam ein alter Teppich an die Reihe, der bereits von den beiden Helfern in den Auktionssaal geholt worden war. Man hatte ihn auf ein Gestell gespannt und das Licht darauf gerichtet.
    Dann kam der Auktionator. Er hieß Henry Sutton, trug einen dunklen Anzug und dazu ein weißes Hemd. Eine graue Fliege mit weißen Punkten bildete den Ersatz für eine Krawatte.
    Die Tür war geschlossen worden. Fast alle Stühle waren nun besetzt, und ich gönnte mir noch einen Blick in die Runde. Auf die Schnelle war niemand zu entdecken, den ich als Gegner eingestuft hätte. Wir mussten also abwarten, bis unsere Ikone an der Reihe war.
    Der Auktionator begrüßte uns mit einigen Sätzen. Danach erklärte er den Ablauf mit dürren Worten, um dann auf den Teppich zu kommen, der so präsent aufgebaut worden war.
    Er gab einige Daten bekannt, sprach davon, dass der Teppich vor langer Zeit im Iran geknüpft worden war, um danach auf die Gebote zu warten.
    Sie erfolgten nur zögerlich. Drei Besucher boten mit, doch zwei von ihnen gaben rasch auf. Ein Mann mit kahlem Kopf erhielt schließlich den Zuschlag.
    Wie hoch der Preis war, hatte ich nicht gehört. Der Vorgang war eigentlich an mir vorbeigegangen. Momentan saß ich entspannt auf meinem Platz.
    Dann holten die beiden Männer die Figur. Sie stand auf einem Sockel, war recht klein und stellte eine Frau in der Haltung einer Tänzerin dar. Sie war über zweihundert Jahre alt, stammte aus Avignon und wurde von einer Frau ersteigert, die wohl Französin war, das hörten wir an ihrem Akzent.
    »So«, flüsterte Jane mir zu, »jetzt sind wir an der Reihe.«
    »Wie hoch kannst du genau gehen?«
    »Zumindest sechsstellig. Ich soll sie auf jeden Fall ersteigern, damit sie nicht in falsche Hände gerät.«
    »Dann viel Glück.«
    Sie lachte leise. »Jetzt bin ich gespannt, wer bietet.«
    »Ich auch.«
    Die Ikone war bereits gebracht worden. Voll im Licht stand sie auf einer Staffelei und war auch für uns in der drittletzten Reihe gut zu sehen. Der Auktionator gönnte ihr einen knappen Blick, dann sprach er von dem Mindestgebot und wartete darauf, dass sich jemand aus dem Publikum meldete.
    »Ich halte mich noch zurück«, flüsterte Jane mir zu.
    »Okay, tu das.« Ich musste an eine andere Versteigerung denken, bei der ich nicht dabei gewesen war, sondern die Conollys. In New York hatten sie den Knochensessel ersteigert, der jetzt bei den Templern in Südfrankreich stand.
    »Ladies and Gentlemen, es ist ein ungemein wertvolles Kunstwerk, und das nicht nur für Menschen, die Ikonen sammeln. Dieses Bild wird jedes Haus schmücken und …«
    »Dreißigtausend!«
    Eine Männerstimme übertönte die des Auktionators, und plötzlich war es still. Jeder wollte den Bieter sehen, der zwei Reihen vor uns saß und den rechten Arm in die Höhe streckte.
    Er war ein breitschultriger Mann mit dunkelbraunen Haaren, die lockig bis in seinen Nacken wuchsen. Sein Gesicht sahen wir nicht, und ich konnte mich auch nicht daran erinnern, ihn besonders registriert zu haben.
    »Es sind einunddreißigtausend Pfund geboten«, sagte die kühle Stimme des Auktionators.
    »Jetzt ich«, raunte Jane und rief die nächste Zahl in die Stille hinein. Dabei hob sie ebenfalls den
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