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163 - Canyon der toten Seelen

163 - Canyon der toten Seelen

Titel: 163 - Canyon der toten Seelen
Autoren: Susan Schwartz
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und den Mann.
    »Es geht nicht darum, dass wir verschiedenen Welten entstammen, sondern wer wir sind – keine bedeutungslosen Menschen«, erklärte er. »Wir können uns nicht einfach davonstehlen und irgendwo ein neues Leben beginnen. Wir tragen Verantwortung, weil uns die Zukunft unseres Volkes mehr als alles andere am Herzen liegt.« Seine Hand streichelte ihr Haar. »Sternsang bereitet sich allmählich auf den Tod vor. Seine Kräfte schwinden. Ich werde an seine Stelle treten. Bereits in den nächsten Tagen beginnen die Zeremonien, die mich zum Obersten Baumsprecher machen werden. Von überallher strömen die Sippen herbei, um daran teilzunehmen. Ich… wollte es nicht, aber er machte mir klar, dass ich keine Wahl habe. Ich bin dafür ausgebildet, und ich habe mich von Anfang an in die politischen Belange unserer Völker eingemischt.«
    Maya schwieg, der Schmerz lähmte ihre Zunge.
    »Ich kenne wie du beide Welten«, fuhr Windtänzer fort, »und ich werde auf meiner Seite vermitteln – und du auf deiner. Ich brauche dich im Rat, Maya, denn du bist unsere Fürsprecherin. Gemeinsam können wir vermeiden, dass die Kluft zwischen unseren Völkern immer größer wird, oder dass es zu weiteren Gewalttaten kommt. Unsere Ahnen haben versucht, eine Welt des Friedens aufzubauen. Versuchen wir sie zu bewahren, du und ich, in diesen krisengeschüttelten Zeiten. Du hast einen hohen Status bei den Städtern, und sie verehren dich als Heldin. Dein Wort hat Gewicht.«
    »Ich wollte nie Politikerin werden«, flüsterte sie. »Aber auf dem Weg hierher ist mir klar geworden, dass ich keine Wahl habe.«
    »Ich weiß, du wolltest zu den Sternen. Aber du warst dort, mein Herz, und bist zurückgekehrt. Wie die Schamanen bei uns, musst du nun dein Wissen weitergeben. Die Trennung ist nah. Aber bis dahin gehört dieser Augenblick uns. Nur uns beiden, fern von allem.« Windtänzer neigte seinen Kopf zu ihr und küsste sie.
    Mayas Herz schien ihr fast die Brust zu sprengen. Dieser Kuss übertraf alle Wünsche und Sehnsüchte, die sie je gehabt hatte, und machte ihr die Einsamkeit, die nun vor ihr lag, nur noch mehr bewusst. Sie merkte, wie sich eine Träne aus ihrem Auge stehlen wollte, und wischte sie hastig fort.
    »Du bist nicht einsam«, sagte Windtänzer, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Das darfst du nie vergessen. Ich werde immer bei dir sein, und du wirst mich sehen können, wenn du aus deinem hohen Turmfenster zum Wald blickst und dort den Wind durch die Baumkronen tanzen siehst. Und da ist auch Nomi, dein kleiner Wirbelwind. Und… ein weiterer Seelenverwandter, der schon sehr lange geduldig wartet und denselben Verlust erlitt wie wir.«
    Das interessierte Maya jetzt nicht. Sie wollte nicht mehr reden, nur Windtänzer so nahe wie möglich sein. Hingegeben, versunken, losgelassen, wenigstens für einen kurzen, glückseligen Moment.
    Sie atmete den Wald ein, während er sie mit sich hinunter auf die Plattform zog, und sie schloss die Augen, um nichts zu versäumen von seinen Berührungen, die sanfte Wärme seiner Haut zu spüren und einige Fertigkeiten kennen zu lernen, die die Waldleute offensichtlich voraus hatten…
    Anschließend küssten sie sich noch eine Weile und flüsterten sich Dinge zu, die sie einander schon so lange sagen wollten.
    Dann löste Windtänzer sich von Maya, riss sich regelrecht los. »Wir müssen jetzt wieder zurück, bestimmt ist der Gleiter schon eingetroffen«, sagte er mit belegter Stimme. »Lass uns gehen, Maya, bevor wir nicht mehr die Kraft dazu haben.«
    »Ich weiß, was du meinst, und ich wünschte, wir wären nicht so verflucht vernünftig.« Sie stand auf und versuchte ihre Kleidung und ihr Haar zu ordnen. »Aber ich werde trotzdem weiter hoffen, Windtänzer«, fügte sie hinzu. »Eines Tages… wenn wir alt sind und unsere Pflicht getan haben…«
    Er lachte leise und ergriff ihre Hand, wagte noch einmal einen letzten Kuss. Dann machten sie sich schweigend an den Abstieg.
    ***
    Als sie am Versammlungsplatz ankamen, wurde Maya tatsächlich bereits erwartet. Ihre Augen weiteten sich, und sie flüsterte: »Leto…« Schlagartig fielen ihr Windtänzers Worte wieder ein, und jetzt begriff sie den Sinn.
    Und sie begriff auch, dass der Baumsprecher sehr viel weiter blicken konnte, als er sich den Anschein gab. Er würde vermutlich seinen Meister, den Ersten Baumsprecher Sternsang, bald übertreffen. Das Volk der Waldleute war bei ihm in guten Händen.
    Sie durfte ihn nicht enttäuschen.
    »Ich
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