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1441 - Der Seelenfluss

1441 - Der Seelenfluss

Titel: 1441 - Der Seelenfluss
Autoren: Jason Dark
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gut schweben können.
    Noch immer wusste sie nicht, ob das weiße Wesen nun ein Mensch oder ein Geist war. Vielleicht gab es noch ein Stadium dazwischen, aber das wusste sie nicht.
    Sie glitten tiefer in den Kanal hinein, über dem sich eine halbrunde Decke wölbte, die ebenfalls vor Nässe glänzte. Es war nicht stockfinster, denn an einigen Stellen unter der Decke schimmerte Licht, das vielleicht mal hell gewesen war, aber jetzt eine dunkle Farbe angenommen hatte, weil die Schutzgläser über den Lichtquellen verschmiert waren.
    Es war alles so anders geworden, so fremd. So kalt und auch feucht. Und so glitt sie gemeinsam mit dieser kalten, weißen, bleichen und unheimlichen Gestalt weiter einem Ziel entgegen, das sie nicht kannte.
    Aber sie war nicht so tief in sich selbst versunken, als dass sie die Veränderung nicht bemerkt hätte. Sie geschah nicht auf der Barke, sondern unter ihr. Dort bewegte sich das Wasser hektischer als sonst. Die Barke musste dem Tribut zollen und fing an zu schwanken. Das Schaukeln nahm Susa hin. Der seltsame Geist glich es leicht aus, sodass sie nicht abrutschte.
    Mit Erstaunen bemerkte sie, dass die Wände des Kanals an beiden Seiten zurückwichen. Sie fuhren trotzdem noch weiter, aber es kamen noch andere Strömungen hinzu, und sie stellte fest, dass sich die Barke leicht nach steuerbord hin drehte.
    Das blieb auch so bestehen, denn sie gerieten in einen Kreis.
    Susa hob den Kopf. Über ihr sah sie die Decke. Sie hatte hier ihre alte Form verloren und war recht glatt. Mehrere durch Gitter geschützte Lampen verteilten sich in der Nähe. Sie streuten ihr Licht nach unten, sodass es sich auf der Wasseroberfläche spiegelte.
    Ein leises Plätschern blieb wie eine Musik, die nicht abriss, und Susa begriff, dass sie sich in einem unterirdischen Becken befanden, in das zwei Kanäle mündeten.
    Das Becken, das zunächst aussah wie ein Gefängnis, hatte trotzdem einen Abfluss. Er lag hinter einem Gitter, durch dessen Öffnungen das Wasser in einen breiteren Kanal strömte.
    Die gegenüberliegende Seite war durch eine Mauer abgedichtet.
    Da hatte es mal einen Zufluss gegeben, doch der war verschlossen worden. Das Wasser hier sah anders aus. Dunkler, und so kam ihr der Gedanke, dass es auch tiefer war.
    Ein schweres Seufzen riss sie aus ihren Gedanken. Sie hob den Kopf etwas an und schaute direkt in das bleiche Gesicht der unheimlichen Gestalt. Es gab niemand anderen in der Nähe. Wenn jemand das Seufzen abgegeben hatte, dann sie.
    Zwei kalte Hände fassten sie in Höhe der Ellbogen an. Susa spürte den harten, aber zugleich nachgiebigen Druck, als wären diese Finger aus einem weichen Material.
    Das hatte sie noch nie erlebt. Hoffnung gab es ihr trotzdem nicht, denn die Hände wirkten auf sie wie eine Klammer.
    Sie wusste auch, dass man sie nicht ohne Grund angefasst hatte.
    Das Wesen wollte eine Flucht im Keim ersticken. Es konnte ja sein, dass ihr plötzlich einfiel, sich über den Rand der Barke zu werfen und wegzuschwimmen.
    Susa versuchte, sich zusammenzureißen und keine Angst zu zeigen, deshalb schaute sie wieder in das bleiche Gesicht, das sie mehr als eine Fratze ansah.
    Sie hörte wieder das Seufzen. »Es muss so sein – es muss so sein. Es geht nicht anders…«
    Sie verstand jedes Wort. Aber sie sah nicht, dass sich etwas in dem Gesicht bewegt hätte.
    »Du kannst reden?«
    »Es muss so sein…«
    Die Antwort alarmierte Susa. Wer so etwas sagte, der wollte es auch in die Tat umsetzen.
    »Warum?«
    »Die Ahnen – die Ahnen«, hörte sie wieder die Stimme, die im Prinzip keine war.
    »Sie sind doch tot und…«
    »Ja, für euch Menschen. Aber sie leben in einer anderen Welt. Sie brauchen die Opfer, und ich habe sie ihnen gebracht. Ich, der Schamane. Ich, der auch Wu heißt und unter diesem Namen bekannt ist. Man hat mich nicht vergessen, und ich habe die Menschen auch nicht vergessen. Die alte Zeit läuft weiter. Sie ist nicht vorbei, verstehst du? Ich existiere auch weiterhin, und ich werde auch in der Zukunft existieren. Das will ich dir sagen, bevor ich dich opfere. So lange haben die Ahnen Ruhe gegeben, doch dann erinnerten sie sich an den großen Schamanen, der selbst den Weg alles Irdischen gegangen ist, aber trotzdem lebt, denn du siehst nicht ihn, sondern seinen Geist. Ich bin das, was in ihm steckte. Ich bin sein Ektoplasma, ich bin sein Zweitkörper, der all die Jahre bei den Ahnen gewesen ist und nun freigelassen wurde. Ich tue nur meine Pflicht, so wie ich sie als
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