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142 - Der Bluttempel

142 - Der Bluttempel

Titel: 142 - Der Bluttempel
Autoren: Michael M. Thurner
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Bienenstämme, Rinde, die man kochen kann. Und Wild, an das ich so nahe herankam, dass ich es zu Tode hätte erschrecken können.« Sie deutete neben sich auf mehrere Fesanten (Waldfasane des 26. Jahrhunderts) , zwei Waldgerule und ein Matt unbekanntes Deer, dessen sechzehnendiges Geweih in messerscharfen Flachknochen auswuchs.
    »Das scheint auch hier das große Problem zu sein«, stimmte er ihr zu. »Sie haben so viel vergessen, und ihre Instinkte lassen sie in Stich. Diese verdammte CF-Strahlung! Wir müssten ihnen alles beibringen, wie kleinen Kindern, und würden dennoch während unserer Lebzeit kaum etwas bewirken.«
    »Zumindest möchte ich dafür sorgen, dass die Kinder in den nächsten Tagen satt und zufrieden zu Bett gehen«, sagte Aruula bestimmt. »Und ohne dass sie zum Aderlass gezwungen werden.« Sie deutete auf drei Krüge, die sie mit dem Blut der Beutetiere bis zum Rand hin gefüllt hatte.
    Matt ging auf sie zu, drückte sie sanft gegen den klebrigen Baum und meinte: »Du wirst den Köhler und seine Familie glücklich machen. Unser Ziel muss es aber sein, die Ursache für dieses ganze Elend zu beseitigen.«
    Aruula nickte bestätigend und kaute dann genüsslich an seiner Oberlippe. »Zuerst zerstören wir den Noskopzenorden, der dieses Land in Schrecken gefangen hält. Dann schnappen wir uns die Daa’muren.«
    »Und was machen wir morgen?«, fragte Matt und erwiderte ihren gierigen Kuss.
    ***
    Es war ein Freudenfest sondergleichen, das Aruula der Köhlerfamilie bereitete. Erstmals seit vielen Wochen oder Monaten schallte glückliches Kinderlachen und das zufriedene Rülpsen satter Menschen durch den Wald.
    »Wir werden euch das nie vergessen!«, rief Xej zum vielleicht hundertsten Mal an diesem Morgen und setzte zur wahrscheinlich zweihundertsten Umarmung an. »Wann immer ihr mich braucht, ruft nach mir. Nennt in Staritsa meinen Namen, und es werden euch alle Türen offen stehen. Da – nehmt! Zwei, nein!, drei Flaschen meines besten Gorbachovs! Und hier! Einen handgeschnitzten Glücksbringer. Habt ihr ausreichend Reiseproviant mit? Sind die Andronen satt?«
    Das aufgeregte Geschnatter Jekats und der Kinder trug ihr Übriges zum Chaos bei, in dem Aruula und Matt aufbrachen.
    Sie zogen weiter nach Westen und folgten den leisen Klingeltönen, die weithin über die Waldgipfel schallten.
    »Ich bin noch nie einem Vogelhändler begegnet«, sagte Aruula nach einer Weile. Sie führten die massigen Flugandronen zu Fuß neben sich her, die sich hier im niedrigen Geäst sichtlich unwohl fühlten.
    »Die hat es bereits weit vor meiner Zeit gegeben.« Matt zupfte energisch am Halfter seines Tieres und brachte es dazu, ruhiger zu hüpfen. »Sie fingen Singvögel ein und verkauften sie an reiche Bürger, die ihren Gesang mochten. In anderen Gegenden Europas waren die Tiere als Mahlzeiten sehr beliebt. Je kleiner, desto besser.«
    »Man hat sie wegen ihres Gesangs eingefangen? Das ist ja lächerlich! Wenn ich ihren Stimmen lauschen will, gehe ich einfach in den Wald und höre zu.«
    »Da hast du Recht, aber… hm… das Leben war früher etwas komplizierter.«
    »Du meinst: blöder.«
    »Das auch«, musste er zugeben.
    »Still jetzt! Ich höre eine Stimme.« Sie verharrte, wie eine Statue, atmete kaum noch. Auch ihre Flugandrone war stehen geblieben und gab kein Geräusch von sich.
    Wie sie so dasteht, alle Muskeln angespannt und alle Sinne nach außen gerichtet – so müssen sich die Menschen der Antike die Jagdgöttin Diana vorgestellt haben, dachte Matt. Er ließ seinen Blick bewundernd über ihren muskulösen und dennoch biegsamen Körper wandern.
    Früher einmal waren sie Eins gewesen.
    Dann war die räumliche Distanz eines ganzen Kontinents zwischen ihnen gestanden, bis sie einander wieder gefunden hatten.
    Und jetzt?
    Matt seufzte.
    Es wollte nicht mehr so werden, wie es einmal gewesen war.
    Enttäuschungen und schreckliche Schicksalsschläge hatten sie einander entfernt. Das gemeinsame Kind, dessen Los nach wie vor ungewiss war. Riesige kulturelle Unterschiede, die zwar immer da gewesen, aber nur schleichend zutage getreten waren. Liebschaften mit anderen Partnern, die trotz der seltsamen Umstände ihre Spuren hinterlassen hatten…
    Nach wie vor waren Liebe und Leidenschaft da – doch die Mühen des Alltags drängten sich wie feine Keile zwischen ihrer beider Leben.
    »Wir müssen weiter Richtung Sonne«, meinte Aruula und bewegte sich wieder. »Der Vogelhändler tappst wie ein trächtiges
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