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142 - Der Bluttempel

142 - Der Bluttempel

Titel: 142 - Der Bluttempel
Autoren: Michael M. Thurner
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ältesten Kinder waren um den Bullerofen versammelt und putzten Schuhe. Alle anderen wälzten sich bereits im Stroh, unweit der Haus-Wakudas.
    »Popovgeno?«, fragte Matt interessiert nach.
    »Der Vogelhändler.« Xej stand auf und kratzte sich ungeniert zwischen den Beinen. »Einer der wenigen Menschen, der mit den Noskopzen Geschäfte macht – und uns mit Mehl beliefert.«
    »Kann man ihm vertrauen?«, fragte Aruula, misstrauisch wie stets, wenn es um Händler ging.
    »Er hat uns noch nie betrogen oder belogen«, antwortete wiederum die Bäuerin. »Sein Mehl ist gut, er misst stets sehr exakt mit dem Scheffel. Nie zu viel, aber auch nie zu wenig.«
    »Wie kommt es dann, dass er Geschäfte mit jenen macht, die euch so große Lasten auferlegen?« Aruulas Argwohn war nicht so leicht zu entkräften.
    »Für manche ist er auch ein Verräter«, entgegnete diesmal der Köhler. »Aber wenn wir ihn nicht hätten, wären wir wohl längst alle verhungert.«
    Matt erkannte, dass der Mann nach dem Aderlass und dem vielen genossenen Schnaps todmüde war. Doch noch quälten ihn weitere Fragen. »Wir haben auf unserem Ritt hierher nur dieses eine Feuer gesehen. Wo leben die anderen Menschen? Wie viele gibt es in diesem Landstrich?«
    »Rund um Staritsa und entlang der Voolga werden es ein paar hundert Familien sein. Hier in den Wäldern sind wir nur wenige. Da und dort stehen ein paar Gehöfte und Siedlungen. Die meisten Menschen verdingen sich als Fleischbauern oder leben vom Fischfang.« Er seufzte. »Es ist ein täglicher Kampf gegen Wald, Wind, Wetter und Raubtiere, und nur zu oft wird er umsonst geführt…«
    »Und du lieferst ihnen die Kohle für ihre Öfen?«
    »Ja.«
    »… und meist bekommt er nur Versprechungen statt Lohn dafür«, mischte sich Jekat erneut ein.
    »Mag sein, Weib!« Verärgert drehte sich der kleine Mann zu seiner Frau um. »Aber soll ich wegsehen, während andere erfrieren oder verhungern? Soll ich so sein wie die Noskopzen?«
    »Nein – aber du solltest ab und zu auch an deine eigenen Kinder denken. Sieh sie dir an – nur noch Haut und Knochen!«
    Damit endete die Unterhaltung. Niedergeschlagen, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, legten sich die zahlreichen Mitglieder von Xejs Familie, sowie Aruula und Matt ins trockene Stroh.
    ***
    Mit dem Morgen kam der Sonnenschein, und mit dem Sonnenschein kehrte bessere Laune ins Haus des Köhlers ein.
    »Habt ihr Aruula gesehen?«, fragte Matt prustend, nachdem er seinen Kopf in einen Bottich mit kaltem Wasser getaucht hatte.
    »Sie hat mit dem ersten Licht das Haus verlassen«, antwortete Jekat kurz angebunden.
    Sie war bereits wieder am Putzen, Kochen und Kehren, als hätte sie ihren Platz in der Küche auch während der Nacht nicht verlassen. Mochte der Köhler schon eine undankbare – und auch gefährliche – Arbeit machen, so war der Tag für seine Frau noch viel länger. Stets quengelte eines der Kinder, stets war jemand krank, stets musste sie sich um die Tiere kümmern.
    Wie alt war sie? Dreißig, fünfunddreißig? Bereits jetzt zitterten ihre Hände und war der Rücken gebeugt. Zehn, fünfzehn Jahre noch, wenn alles gut ging, und dann…?
    Ein Pfiff ertönte.
    Aruula – sie rief ihn!
    Hastig verschloss Matt den Oberteil seiner Kombination und lief hinaus.
    Der Waldboden dampfte vor Feuchtigkeit. Bienen summten geschäftig vor sich hin. Sanfter Wind fuhr durch die Äste.
    War dies tatsächlich die gleiche Umgebung, in der Menschen vor Hunger und Entkräftung starben? Der Wald bot doch so viel…
    Erneut der Pfiff. Drängend, aber nicht fordernd. Aruula benötigte ihn, aber sie war nicht in Gefahr.
    Kurz sah er nach den Flugandronen, die bereits ungeduldig an ihren Halftern zerrten. Dann folgte er der ungefähren Richtung, aus der der Pfiff gekommen war.
    Die Barbarin hatte es ihm leicht gemacht und auffällige Spuren hinterlassen. Niemals hätte er ihnen folgen können, wenn sie es nicht gewollt hätte. Da war ein Ast abgebrochen, dort hing ein kleines Fellbüschel ihres neckischen Röckchens, hier war sie mit dem Fuß in tiefer Erde eingesunken…
    »Da bist du ja endlich!«, empfing sie ihn ungeduldig nach zwanzig Minuten der Suche. Sie lehnte an einer breit gewachsenen Buchenstaude, von deren hellen Borke sie das Harz ableckte.
    »Diese Menschen wissen den Reichtum des Landes und des Waldes nicht zu schätzen«, bestätigte sie seine zuvor getroffene Einschätzung. »Waldfrüchte, Harz zum Süßen, Knollengemüse, Honig wilder
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