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136 - Im Schloss der Daa'muren

136 - Im Schloss der Daa'muren

Titel: 136 - Im Schloss der Daa'muren
Autoren: Stephanie Seidel
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Blick den staubigen Boden – und nur aus diesem flachen Winkel waren die Spuren zu erkennen, die sich kreuz und quer durch den Raum zogen.
    Große und zwei kleine Füße hatten sie hinterlassen.
    »Wartet kurz! Bleibt mal stehen!«, befahl Matt den beiden Frauen.
    Tief gebückt folgte er einer Doppelspur in den offenbar ungenutzten hinteren Teil des Raumes. Man musste wissen, wonach man suchte, denn selbst in der dicken Staubschicht waren die Abdrücke nur schwach. Matt folgte ihnen. Überall Spinnweben. Zwischen zerfallenem Holz und verfaulten Ledereinbänden ragten Stapel von Büchern auf – uralte, handgeschriebene Folianten. Sie wären von unschätzbarem Wert gewesen, hätte die Welt noch existiert, die sie erschaffen hatte. So aber waren sie nur im Weg. Matt trat sie beiseite und ging weiter.
    Er war erstaunt, als er plötzlich vor einer Wand stand. Die Spur endete dort. Matt richtete sich auf, strich über die raue Oberfläche und klopfte probeweise. Die Wand war aus Stein, wie alle anderen. Morsche Holzregale ragten rechts und links von den Fußspuren auf. Matt entdeckte an der Innenseite der Bretter einen rostigen Eisenhebel. Er zog ihn herunter – und die Wand wich zurück.
    »Eine Geheimtür!«, sagte Matt verblüfft. Er schob sie weit auf und leuchtete mit der Fackel hinein. Stufen führten in die Tiefe. Kalte Frischluft wehte aus der Dunkelheit herauf. Das musste ein Fluchtweg sein! Matt fuhr herum. »Aruula! Jenny! Sie versuchen Annie aus der Burg zu bringen! Schnell!«
    Mit diesen Worten rannte er los. Die Frauen folgten ihm auf dem Fuße. Jenny konnte nur mit Mühe ein nervöses Schluchzen unterdrücken, und selbst Aruula war angespannt.
    Seit sie diesen Turm betreten hatte, vernahm die Barbarin wieder dieses seltsame Rufen, das sie schon als leises Echo auf der Schäßburg gehört hatte. Aruula blieb einen Moment in der offenen Tür stehen und sah zurück in den Raum. Doch da war nichts. Die Barbarin verdrängte jeden anderen Gedanken und konzentrierte sich auf Ann. Nur sie war wichtig. Niemand sonst.
    Es wurde still im Turm. Draußen aber, unbemerkt, kam mit dem Nachtwind eine weiße Eule heran.
    ***
    Florins Welt
    Er brachte es nicht fertig, die Augen zu öffnen. Er hätte es gekonnt, doch er wollte es nicht. Florin lag ausgestreckt am Boden, unmittelbar vor der Geheimtür. Seine Hand berührte eine Schwelle, die zu überschreiten er nicht mehr imstande gewesen war. Die Schwerter der Wachen hatten ihn durchbohrt.
    Es war kalt auf dem Stein, aber Florin spürte die Kälte nicht.
    Da war auch kein Schmerz. Nur Resignation. Still und verloren wartete der Junge auf die Dunkelheit. Bald schon würde alles verblassen und sich auflösen: die Wachen, die Bibliothek, die klaffenden Wunden in seiner Brust und die Erinnerung an sein schreckliches Sterben.
    Vergessen war die einzige Gnade, die Florin gewährt wurde.
    Jede Nacht.
    Sie hatten sein Herz durchbohrt, damals, in jener Winternacht 1457. Doch der Tod auf dem Turmdach hatte Florin nicht mitgenommen. Ich werde ein Leben retten!, hatte der Junge geschworen – und es nicht getan.
    Jahrhunderte waren vergangen. Die Menschen waren fort, die Burg zerfiel, und mit ihr jede Hoffnung auf eine zweite Chance für Florin. Irgendwann hatte es eine Zeit gegeben, in der Touristen kamen und die Omie Corbi noch einmal mit Leben erfüllten, doch auch das war längst vorbei. Auf Tihomirs düsterer Tausend-Raben-Burg würde niemand mehr in Not geraten.
    Oder doch?
    Schon griff das Vergessen nach Florins Geist, als der Junge unvermittelt die Augen aufschlug. Jemand war durch ihn hindurchgegangen! Mitten durch seinen Körper! Als wäre er gar nicht da!
    Florin setzte sich auf. Zwei Bilder tanzten vor seinen Augen: Tihomirs Wachen, wie sie mitten in der Bibliothek ihre blutigen Schwerter an den Hosenbeinen abwischten – und ein leerer, zerfallener Raum. Kalter Wind wehte heran. Florin drehte sich um und erkannte, dass er aus der Geheimtür kam.
    Ein Fremder hatte sie geöffnet! Er rannte bereits die Treppen hinunter, dicht gefolgt von einer blonden Frau.
    Die andere Frau war noch an der Tür. Sie trug ein Schwert, war dunkelhaarig und sehr schön. Reglos stand sie da und sah Florin an. So glaubte er zumindest.
    Florin sagte ihr, dass sie den Fremden warnen sollte, der die Geheimtür geöffnet hatte. Er suchte seine Tochter, aber er ging in die falsche Richtung! Er folgte dem Fluchtweg ins Freie statt hinunter ins Burgverlies. So würde er sie nicht mehr rechtzeitig
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