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136 - Im Schloss der Daa'muren

136 - Im Schloss der Daa'muren

Titel: 136 - Im Schloss der Daa'muren
Autoren: Stephanie Seidel
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Noch flammte ihr letzter Widerschein an den obersten Zinnen der Burg. Am Boden aber herrschte schon Auszeit: die blaue Stunde – das schattenlose Zwielicht zwischen Tag und Traum. Magisches Niemandsland, in dem die Grenzen fließend werden und das heiße Leben den Hauch der anderen Seite spürt.
    Schlagartig, wie auf ein lautloses Kommando, fielen die Bateras von der Decke und breiteten ihre Flügel aus. Das Burgverlies wurde zur Hölle, als Hunderte Fledermäuse gleichzeitig dem Mauerloch entgegen drängten. Sie kamen durch die Gitterstäbe, und sie flatterten wie eine Wolke des Schreckens in Anns Zelle herum. Ihre kurzen schrillen Laute und der unentwegte Luftzug ihrer Flügel hüllten Ann ein, dass sie zu ersticken glaubte.
    Die Vierjährige riss ihre Arme über den Kopf und rollte sich in der Ecke zusammen. Sie schrie vor Entsetzen, so laut sie konnte – und doch nicht laut genug, um noch ihre eigene Stimme zu hören im infernalischen Jagdgesang der Bateras.
    Anns Herz schlug wie verrückt.
    Es dauerte eine Weile, bis der ganze Schwarm ausgeflogen war. Als das letzte Tier durch die Maueröffnung segelte, wurde es totenstill im Burgverlies.
    ***
    Florins Welt
    Manchmal war es gut, klein und mager zu sein. Florin schlich ans Burgtor, ging vor dem Fallgitter zu Boden und kroch mühelos zwischen den eisenbeschlagenen Spitzen hindurch.
    Geschafft! Der Junge wischte seine nassen Hände ab und sah sich um. Das Schneegestöber hatte aufgehört; ein großer Vollmond stand genau über der Burg und brachte den tief verschneiten Hof zum Glitzern. Links, zwischen Turm und Außenmauer, war das Waschhaus. Gleich davor stand der Hofbrunnen, dort musste Florin hin. Er lief los, dicht an der Mauer entlang, um keine auffällige Spur zu hinterlassen.
    Auch geschafft! Florin kauerte sich ins Versteck. Bald schon, Schlag Mitternacht, war Wachablösung. Dann kamen die Wächter aus dem Turm herunter und gingen zum Burgtor.
    Die Ablösung hatte es jedoch nie eilig, ihre warme Stube zu verlassen. Es dauerte immer ein paar Minuten, bis sie losgingen, und mehr brauchte Florin nicht. Er musste nur vor den Wächtern in den Turm gelangen.
    Offiziell war dort oben nichts weiter als Tihomirs Bibliothek. Der Vater des Grafen hatte auf seinen Raubzügen viele handgeschriebene Bücher erbeutet, aus fernen Klöstern.
    Die Wächter glaubten, sie würden nur Folianten bewachen.
    Aber Florin wusste es besser. Von Marie, der Tochter von Meister Vasile.
    Marie war Küchenmagd auf Omie Corbi. Einmal hatte die Köchin sie in den Südturm geschickt, mit Speck und Brot für einen der Wächter. Sie hatte sich wohl verliebt. Im Hof wäre Marie fast über den Haufen geritten worden, weil just in dem Moment ein königlicher Steuereintreiber ankam.
    Tihomir, das war bekannt, empfing zuweilen schweigsame Gäste in seiner Bibliothek. Auch an jenem Tag waren zwei eingetroffen, doch als Marie in den Turm kam, war niemand da – keine Wächter, keine Gäste, kein Graf. Die Tür zur Bibliothek hatte offen gestanden, und Marie hatte gesehen, dass einer der Bücherschränke von der Wand abgeschwenkt war. Hinter ihm gähnte ein dunkler zugiger Ausgang. Marie war erschrocken weggelaufen, aber sie hatte noch bemerkt, dass ein Buch aus dem Schrank ragte. So weit, dass es eigentlich hätte fallen müssen. Doch das tat es nicht.
    Es ist ein Hebel!, dachte Florin und nickte. Mit ihm kann man die Geheimtür öffnen!
    Der Neunjährige hauchte in seine kalten Hände. Sie zitterten heftig, und das lag nicht nur an der Kälte. Graf Tihomir hatte schon Männer in den Tod geschickt, weil sie ohne seine Erlaubnis Hasen gejagt hatten, um ihre Familien vor dem Verhungern zu retten. Was würde dann erst mit Florin passieren, wenn man ihn erwischte?
    Ich werde es schaffen! Ich werde das Gold nach Hause bringen und Mama retten! Florin wurde seltsam feierlich zumute. Ein Leben retten, das war schon etwas Besonderes!
    Das konnte nicht jeder! Wie froh würde seine Mutter sein, wenn sie nicht sterben musste! Florin bekreuzigte sich mit großer Ernsthaftigkeit und dachte dabei: Ich werde ein Leben retten! Das schwöre ich, bei meiner Seele!
    Der feierliche Moment verflog, und Florin beschäftigte sich wieder mit dem geplanten Diebstahl. Vielleicht war heute Nacht die letzte Gelegenheit dazu. Gavril hatte gesagt, Tihomir würde nicht mehr lange Freude an diesem Gold haben, und Gavril musste es wissen.
    Gavril Wiecek, der Bruder vom alten Schuster Karel, hatte sein Glück in der Ferne gemacht.
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