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1346 - Mallmanns Schicksal

1346 - Mallmanns Schicksal

Titel: 1346 - Mallmanns Schicksal
Autoren: Jason Dark
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die man schlecht erklären, dafür aber beschreiben konnte. Man konnte sie fühlen, und irgendwie öffnete sie einem Menschen auch das Herz.
    Meinen Freunden hatte ich nicht erzählt, wohin ich gehen würde.
    Es war eine Sache, die nur mich anging. Ich hätte auch gern das Grab meiner Eltern besucht, aber sie lagen in Schottland, zu weit entfernt von London. Wären die Dinge anders gelaufen und hätte ich persönlich Zeit gehabt, wäre ich vielleicht sogar hochgefahren, doch das Schicksal hatte etwas anderes mit mir vor.
    So blieben mir Lady Sarah Goldwyn und die Gedanken an sie…
    ***
    Ein Friedhof am Tag vor Weihnachten!
    Wer denkt, ihn leer zu finden, der hat sich getäuscht. Ich war nicht der einzige Besucher, der einem Verwandten oder liebem Freund noch einen Gruß auf das Grab legen wollte.
    Für meine Eltern hatte ich die gelben Rosen telefonisch bestellt.
    Hier trug ich sie selbst in der Hand und wanderte durch die Stille dieser Totenlandschaft.
    Die Umgebung kam mir heute noch stiller vor. Die Besucher gingen langsamer, die Gesichter waren starrer. Zu mächtig quoll gerade heute die Erinnerung an das Vergangene wieder hoch.
    Ich hatte mir meinen braunen Mantel übergestreift und ihn nicht geschlossen.
    Bei jedem Schritt schwangen die beiden Schöße zur Seite. Meine Schuhe wirbelten altes Laub hoch, das seine bunte herbstliche Farbe längst verloren hatte. Es sah tief braun aus, und durch die Feuchtigkeit war es klebrig geworden.
    Ich ging langsam. Konnte mir Zeit lassen. Schaute auf die anderen Grabsteine, ohne sie richtig zu sehen. Im nächsten Monat würde auch Lady Sarah einen Grabstein bekommen, dann hatte sich die Erde weit genug gesetzt.
    Die alten Bäume falteten ihr Geäst auf. Kein Laub schützte mehr vor Regen oder Schnee. Die Temperatur war gestiegen. In dieser Region dachte niemand mehr an weiße Weihnachten.
    Ich bog auf den Weg ein, der zu Sarahs Grab führte. Kein anderer Besucher hielt sich in meiner Nähe auf. Mein Blick glitt nach vorn, und ich sah trotzdem eine Gestalt. Der senfgelbe Mantel hob sich von der dunkleren Umgebung deutlich ab.
    Meine Gedanken begannen zu arbeiten, und ich dachte daran, dass mir dieser Mantel nicht unbekannt war. Ich kannte ihn und ging etwas schneller. Wenige Sekunde später blieb ich neben der Frau stehen.
    »Hallo, Jane.«
    Sie drehte den Kopf langsam nach rechts. An ihren Augen sah ich, dass sie geweint hatte.
    »Du auch hier, John?«
    »Sicher.«
    Sie lehnte sich an mich. »Ich habe irgendwie gewusst, dass du kommen würdest. Wir haben darüber nicht erst groß zu reden brauchen. Irgendwie ist es eine Pflicht. Zwar eine traurige, aber immerhin. Schön, dass wir beide so denken.«
    »Sie hat uns eben so viel gegeben.«
    »Stimmt.«
    Kein anderer Besucher störte uns in dieser schon meditativen Zeitspanne. Ich bückte mich und stellte den Strauß in eine aus der Erde ragende Vase. Auf dem Grab lagen Tannenzweige, und mein Blick fiel auf das Kreuz mit dem Namen der Horror-Oma.
    Es war schlicht gehalten, und ebenso schlicht würde auch ihr Grabstein werden.
    Jane hatte ebenfalls Blumen mitgebracht. Bei ihr waren es rote Rosen.
    Als ich mich aufrichtete, hatte Jane die Hände gefaltet. Ich sah wieder, dass ihre Mundwinkel zuckten. Sie zog auch die Nase hoch und hob die Schultern.
    »Sorry, John, aber die Erinnerung – sie ist… mein Gott, sie ist einfach zu stark.«
    »Ja, das denke ich auch«, erwiderte ich mit belegter Stimme.
    Jane fasste nach meiner linken Hand und drückte sie leicht. So schufen wir eine Verbindung zwischen uns. Wie gern hätte ich auch den Händedruck der Sarah Goldwyn gespürt, aber das war nicht mehr möglich. Durch das damalige Erscheinen der Totenfrau war auch diese allerletzte Verbindung zu ihr gerissen. Allerdings hatten wir schon überlegt, ob es durch ein Medium nicht mal versucht werden sollte, einen Kontakt zum Jenseits herzustellen. Bisher waren wir beide davor zurückgeschreckt.
    »Tja«, sagte Jane mit leiser Stimme. »Sie wäre heute sicherlich gern bei uns gewesen.«
    »Das stimmt.«
    Jane zuckte die Achseln. »Ich habe es mir nie vorstellen können, John, aber es ist passiert. Wie oft mache ich mir Vorwürfe, dass ich nicht mehr auf sie geachtet habe. Wir haben sie immer wieder gewarnt, aber es hat nichts genutzt.«
    »Lass die Gedanken, Jane. Sie bringen dich nicht weiter.«
    »Das sagst du so.« Sie holte ein Taschentuch hervor und tupfte ihre Augen ab. »Gerade heute ist mir wieder alles durch den Kopf geschossen.
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