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12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem

12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem

Titel: 12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem
Autoren: Karl May
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Mensch, Sihdi, welcher hier liegt?“
    Ich mußte allerdings bejahend antworten. Es war wirklich ein Mann, welcher hier lag, und an dessen Leichnam die Geier ihr schauderhaftes Mahl gehalten hatten. Schnell sprang ich vom Pferd und kniete bei ihm nieder. Seine Kleidung war von den Krallen der Vögel zerfetzt. Aber lange konnte dieser Unglückliche noch nicht tot sein, wie ich bei der Berührung sofort fühlte.
    „Allah kerihm, Gott ist gnädig! Sihdi, ist dieser Mann eines natürlichen Todes gestorben?“ fragte Halef.
    „Nein. Siehst du nicht die Wunde am Hals und das Loch am Hinterhaupt? Er ist ermordet worden.“
    „Allah verderbe den Menschen, der dies getan hat! Oder sollte der Tote in einem ehrlichen Kampf gefallen sein?“
    „Was nennst du ehrlichen Kampf? Vielleicht ist er das Opfer einer Blutrache. Wir wollen seine Kleider untersuchen.“
    Halef half dabei. Wir fanden nicht das Geringste, bis mein Blick auf die Hand des Toten fiel. Ich bemerkte einen einfachen Goldreif von der gewöhnlichen Form der Trauringe und zog ihn ab. In seine innere Seite war klein, aber deutlich eingegraben: ‚E.P. 15. Juillet 1830.‘
    „Was findest du?“ fragte Halef.
    „Dieser Mann ist kein Ibn Arab (Araber).“
    „Was sonst?“
    „Ein Franzose.“
    „Ein Franke, ein Christ? Woran willst du dies erkennen?“
    „Wenn ein Christ sich ein Weib nimmt, so tauschen beide je einen Ring, in welchem der Name und der Tag eingegraben ist, an dem die Ehe geschlossen wurde.“
    „Und dies ist ein solcher Ring?“
    „Ja.“
    „Aber woran erkennst du, daß dieser Tote zu dem Volk der Franken gehört? Er könnte doch ebensogut von den Inglis (Engländern) oder den Nemsi (Deutschen) stammen, zu denen auch du gehörst.“
    „Es sind französische Zeichen, welche ich hier lese.“
    „Er kann dennoch zu einem anderen Volk gehören. Meinst du nicht, Effendi, daß man einen Ring finden oder auch stehlen kann?“
    „Das ist wahr. Aber sieh das Hemd, welches er unter seiner Kleidung trägt. Es ist dasjenige eines Europäers.“
    „Wer hat ihn getötet?“
    „Seine beiden Begleiter. Siehst du nicht, daß der Boden hier aufgewühlt ist vom Kampf? Bemerkst du nicht, daß – – –“
    Ich hielt mitten im Satz inne. Ich hatte mich aus meiner knieenden Stellung erhoben, um den Erdboden zu untersuchen, und fand nicht weit von der Stelle, an welcher der Tote lag, den Anfang einer breiten Blutspur, welche sich seitwärts zwischen die Felsen zog. Ich folgte ihr mit schußbereitem Gewehr, da die Mörder sich leicht noch in der Nähe befinden konnten. Noch war ich nicht weit gegangen, so stieg mit lautem Flügelschlag ein Geier empor und ich bemerkte an dem Ort, von welchem er sich erhoben hatte, ein Kamel liegen. Es war tot; in seiner Brust klaffte eine tiefe, breite Wunde. Halef schlug die Hände bedauernd ineinander.
    „Ein graues Hedjihn, ein graues Tuareg-Hedjihn, und diese Mörder, diese Schurken, diese Hunde haben es getötet!“
    Es war klar, er bedauerte das prächtige Reittier viel mehr als den toten Franzosen. Als echter Sohn der Wüste, dem der geringste Gegenstand kostbar werden kann, bückte er sich nieder und untersuchte den Sattel des Kamels. Er fand nichts; die Taschen waren leer.
    „Die Mörder haben bereits alles hinweggenommen, Sihdi. Mögen sie in alle Ewigkeit in der Dschehennah braten. Nichts, gar nichts haben sie zurückgelassen, als das Kamel – und die Papiere, welche dort im Sand liegen.“
    Durch diese Worte aufmerksam gemacht, bemerkte ich in einer Entfernung von uns allerdings einige mit den Händen zusammengeballte und wohl als unnütz weggeworfene Papierstücke. Sie konnten mir vielleicht einen Anhaltspunkt bieten, und ich ging, um sie aufzuheben. Es waren mehrere Zeitungsbogen. Ich glättete die zusammengeknitterten Fetzen und paßte sie genau aneinander. Ich hatte zwei Seiten der ‚Vigie algérienne‘ und ebenso viel vom ‚L'Indépendant‘ und der ‚Mahouna‘ in den Händen. Das erste Blatt erscheint in Algier, das zweite in Constantine und das dritte in Guelma. Trotz dieser örtlichen Verschiedenheit bemerkte ich bei näherer Prüfung eine mir auffällige Übereinstimmung bezüglich des Inhaltes der drei Zeitungsfetzen: Sie enthielten nämlich alle drei einen Bericht über die Ermordung eines reichen französischen Kaufmannes in Blidah. Des Mordes dringend verdächtig war ein armseliger Händler, welcher die Flucht ergriffen hatte und steckbrieflich verfolgt wurde. Die Beschreibung seiner Person
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