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12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem

12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem

Titel: 12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem
Autoren: Karl May
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und Sorge und Unterdrückung, welcher diese Leute ausgesetzt sind.
    Dann sah ich Männer, Frauen und Kinder aus dem Scheikhan, aus Syrien, aus Hadschilo und Midiad, aus Heïschteran und Semsat, aus Mardin und Nisibin, aus dem Gebiet der Kendali und der Delmamikan, von Kokan und Kotschalian, ja sogar aus dem Bereich der Tuzik und der Delmagumgumuku. Alt und jung, arm und reich, alle waren reinlich. Die einen hatten ihre Turbans mit Straußenfedern geschmückt, und die andern konnten kaum ihre Blöße bedecken; aber alle trugen Waffen. Sie verkehrten untereinander wie Brüder und Schwestern; man gab sich die Hände, man umarmte und küßte sich; keine Frau und kein Mädchen verbarg ihr Angesicht vor einem Fremden – es waren die Angehörigen einer großen Familie, welche hier zusammentrafen.
    Jetzt krachte eine Salve, und ich sah, wie sich die Männer in einzelnen größeren oder kleineren Gruppen nach dem Grabmal begaben.
    „Was tun sie dort?“ fragte ich Ali Bey.
    „Sie holen sich ihr Fleisch von den Opferstieren.“
    „Gibt es eine gewisse Aufsicht dabei?“
    „Ja. Nur die Armen kommen. Sie treten nach ihren Stämmen und Wohnsitzen zusammen, deren Anführer sie begleitet oder von dem sie eine Bescheinigung vorzeigen.“
    „Eure Priester erhalten keinen Teil des Fleisches?“
    „Von diesen Stieren nicht; am letzten Tag des Festes aber werden einige Tiere geschlachtet, welche weiß, ganz weiß sein müssen, und deren Fleisch gehört den Priestern.“
    „Können eure Priester Sünde tun?“
    „Warum nicht? Sie sind doch Menschen!“
    „Auch die Pirs, die Heiligen?“
    „Auch sie.“
    „Auch Mir Scheik Khan?“
    „Ja.“
    „Glaubst du, daß auch der große Heilige Scheik Adi Sünde getan hat?“
    „Auch er war ein Sünder, denn er war nicht Gott.“
    „Laßt ihr eure Sünden auf eurer Seele liegen?“
    „Nein, wir entfernen sie.“
    „Wie?“
    „Durch die Symbole der Reinheit, durch das Feuer und das Wasser. Du weißt, daß wir uns bereits gestern oder heute gewaschen haben. Dabei erkennen wir unsere Sünde und geloben, sie von uns zu tun; dann werden sie vom Wasser fortgenommen. Und heute abend wirst du sehen, daß wir unsere Seelen auch durch die Flamme reinigen.“
    „Du glaubst also, daß die Seele nicht mit dem Leib stirbt?“
    „Wie könnte sie sterben, da sie von Gott ist!“
    „Wie kannst du mir dies beweisen, wenn ich es nicht glaube?“
    „Du scherzest! Steht nicht in eurem Kitab: ‚Japar-di bir sagh solukü burunuje‘ – er blies ihm einen lebendigen Odem in seine Nase?“
    „Nun gut! Wenn die Seele also nicht stirbt, wo bleibt sie nach dem Tod des Leibes?“
    „Du atmest die Luft wieder ein, nachdem du sie ausgeatmet hast. Auch Gottes Odem geht wieder zu ihm zurück, nachdem er von Sünden rein geworden ist. – Laß uns nun aufbrechen!“
    „Wie weit ist es bis Kaloni?“
    „Man reitet vier Stunden lang.“
    Unten standen unsere Pferde. Wir stiegen auf und verließen ohne alle Begleitung das Tal. Der Weg führte an der steilen Bergwand empor, und als wir die Höhe derselben erreicht hatten, sah ich ein dicht bewaldetes, von zahlreichen Tälern durchzogenes Gebirgsland vor mir. Dieses Land wird von den großen Stämmen der Missuri-Kurden bewohnt, zu denen auch die Badinan gehören. Unser Weg führte bald bergab, bald wieder bergauf, bald zwischen nackten Felsen und bald durch dichten Wald dahin. An den Abhängen sahen wir einige kleine Dörfer liegen, aber die Häuser derselben waren verlassen. Hier und da hatten wir die kalten Fluten eines wilden Bergbaches zu durchreiten, der sein Wasser dem Ghomel entgegenschickte, um mit diesem dem Ghazir oder Bumadus zuzufließen, der in den großen Zab geht und sich mit diesem bei Keschaf in den Tigris ergießt. Diese Häuser waren von Weingärten umgeben, neben denen Sesam, Korn und Baumwolle gedieh, und erhielten ein besonders schmuckes Aussehen durch die Blüten und Früchte der sorgsam gepflegten Feigen-, Walnuß-, Granatapfel-, Pfirsich-, Kirschen-, Maulbeer-und Olivenbäume.
    Kein Mensch begegnete uns, denn die Dschesidi, welche die Gegend bis Dschulamerik bewohnten, waren fast alle in Scheik Adi eingetroffen, und wir waren bereits zwei Stunden weit geritten, als wir eine Stimme hörten, welche uns anrief.
    Ein Mann trat aus dem Wald. Es war ein Kurde. Er hatte sehr weite, unten offene Hosen an, und die nackten Füße steckten in niedrigen Lederschuhen. Der Körper war nur mit einem am Hals viereckig ausgeschnittenen Hemd
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