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12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem

12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem

Titel: 12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem
Autoren: Karl May
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von dem Wasser des Zem-Zem und tropfte es hier auf den Felsen. Sofort öffnete sich derselbe, und das heilige Wasser sprang hervor. So wird uns erzählt. Wir gebieten nicht, dies zu glauben, denn das Wunder ist auch ohnedies da. Oder ist es kein Wunder, wenn aus dem harten, toten Stein das lebendige Wasser fließt? Dieses ist bei uns ein Symbol der Reinheit unserer Seele, und darum halten wir es für heilig, nicht aber, weil es von der Quelle Zem-Zem stammen soll.“
    Mir Scheik Khan brach seine Rede ab, denn jetzt öffnete sich das äußere Tor, um einen langen Zug von Pilgrimen einzulassen, von denen ein jeder eine Lampe trug. Diese Lampen waren die Dank- und Weihgeschenke für die Heilung einer Krankheit oder die Rettung aus irgendeiner Gefahr. Sie waren für Scheik Schems (Sonne) bestimmt, das leuchtende Symbol der göttlichen Klarheit.
    Alle diese Pilger waren gut bewaffnet. Ich sah dabei recht eigentümliche kurdische Flinten. Bei einer derselben wurden Lauf und Schaft durch zwanzig starke, breite eiserne Ringe verbunden, welche ein sicheres Zielen ganz unmöglich machten. Eine zweite zeigte eine Art Bajonett, welches eine Gabel bildete, deren zwei Zinken zu beiden Seiten des Laufes befestigt waren. Die Männer überreichten ihre Krüge den Priestern und traten der Reihe nach zu Mir Scheik Khan, um ihm die Hand zu küssen, wobei sie ihre Waffen neigten oder ganz ablegten.
    Die Lampen werden gebraucht, um am Abend des Festes den heiligen Ort mit seiner ganzen Umgebung zu illuminieren. Es darf dabei kein gewöhnliches Öl oder gar Bitumen und Naphtha gebrannt werden, da dies für unrein gilt. Nur das Öl vom Sesam ist gestattet.
    Als die Prozession sich entfernt hatte, wurden wohl gegen zwanzig Kinder getauft und beschnitten, welche zum Teil von sehr weit hergebracht worden waren. Ich wohnte diesen religiösen Handlungen bei.
    Später entfernte ich mich mit Mohammed Emin, um einen Gang durch das Tal zu machen. Am auffälligsten war mir die ungeheure Zahl von Fackeln, welche zum Verkauf auslagen. Nach einer ungefähren Schätzung konnten es zehntausend sein. Die Händler machten glänzende Geschäfte, denn ihre Ware wurde ihnen förmlich aus der Hand gerissen.
    Eben standen wir vor einem Verkäufer von Glas- und unechten Korallenwaren, als ich die weiße Gestalt des Pir Kamek den Bergpfad herabkommen sah. Er mußte, wenn er zum Heiligtum wollte, an uns vorüber, und als er uns erreichte, blieb er bei uns stehen.
    „Willkommen hier, ihr Gäste vom Scheik Schems! Ihr werdet den Heiligen der Dschesidi kennenlernen.“
    Er reichte uns die Hände. Sobald er bemerkt worden war, wurde er vom Volk umringt, und ein jeder bemühte sich, seine Hand oder den Saum seines Gewandes zu berühren und zu küssen. Er hielt eine Ansprache an die Versammelten; sein langes weißes Haar flatterte im Morgenwind; seine Augen leuchteten, und seine Gebärden zeigten die Lebhaftigkeit der Begeisterung. Dazu krachten die Schüsse der Ankommenden von oben herab, und ganze Salven antworteten aus dem Tal hinauf. Leider konnte ich seine Rede nicht verstehen, da er sie in kurdischer Sprache hielt. Am Schluß derselben aber intonierte er einen Gesang, in welchen alle einfielen und dessen Anfang mir der Sohn Seleks, welcher dazu kam, übersetzte:
    „O gnädiger und großmütiger Gott, welcher nährt die Ameise und die kriechende Schlange, Nacht und Tag Lenkender, Lebendiger, Höchster, Ursachloser, welcher der Nacht die Finsternis und dem Tag das Licht zuweist! Weiser, herrsche über Weisheit; Starker, herrsche über die Stärke; Lebendiger, herrsche über den Tod!“
    Nach dem Gesang zerteilte sich die Menge, und der Pir trat zu mir.
    „Hast du verstanden, was ich den Pilgern sagte?“
    „Nein. Du weißt, daß ich deine Sprache nicht rede.“
    „Ich sagte ihnen, daß ich Scheik Schems ein Opfer bringen werde, und nun sind sie in den Wald gegangen, um das nötige Holz zu holen. Willst du dem Opfer beiwohnen, so bist du willkommen. Jetzt aber verzeihe, Emir; dort kommen bereits die Opfertiere.“
    Er ging dem Grabmal zu, vor dessen Mauern soeben eine lange Reihe von Ochsen aufgeführt wurde. Wir folgten ihm langsam nach.
    „Was geschieht mit den Tieren?“ fragte ich meinen Dolmetscher.
    „Sie werden geschlachtet.“
    „Für wen?“
    „Für Scheik Schems.“
    „Kann die Sonne Stiere essen?“
    „Nein, sondern sie verschenkt dieselben an die Armen.“
    „Nur das Fleisch?“
    „Alles: das Fleisch, die Eingeweide und die Haut. Mir Scheik
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