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1195 - Der Engelskerker

1195 - Der Engelskerker

Titel: 1195 - Der Engelskerker
Autoren: Jason Dark
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beschwichtigenden Worte des Abbés, und nun wollte mich Clarissa besuchen.
    Warum?
    Eine Antwort konnte ich mir nicht geben. Das würde sie tun müssen. Es war schon ungewöhnlich, dass sie mich sprechen wollte, und ich fragte mich auch, ob ihr Besuch möglicherweise mit den leisen Schreien zu tun hatte, die durch meinen Kopf gezuckt waren.
    Das friedliche Wochenende war vorbei. Der Alltag hatte mich wieder. Ich zog mich so schnell wie möglich an und ging wieder zur Tür, als es erneut geklingelt hatte.
    Ich zog die Tür vorsichtig nach innen und lächelte befreit, als ich Clarissa sah.
    Sie lächelte zurück und sagte: »Hallo, John.«
    »Hi, Clarissa.«
    »Kann ich reinkommen?«
    »Natürlich, du sollst den weiten Weg doch nicht umsonst gemacht haben.«
    Sie winkte ab. »So weit war der Weg gar nicht. Du weißt doch, dass bei mir vieles anders ist.«
    »Ja, da hast du Recht.« Ich gab den Weg frei, damit sie in den Flur treten konnte.
    Sie hatte sich nicht verändert. Noch immer schimmerte das lange Haar so herrlich blond. Wegen der Kälte hatte sie eine dicke schwarze Jacke und einen Mantel übergezogen, und eine Wollmütze hielt sie in der rechten Hand.
    Ich schloss die Tür hinter ihr, nahm ihr den Mantel ab und hängte ihn auf. Dann geleitete ich sie in mein Wohnzimmer und bat sie, sich in einen Sessel zu setzen.
    »Kann ich dir etwas zu trinken anbieten?«, erkundigte ich mich. »Ja, gern.«
    »Saft?«
    Sie lächelte und nickte.
    Auch dafür sorgte Shao stets. Ich schenkte mir noch eine Tasse Kaffee ein.
    Wir setzten uns gegenüber. Clarissa sah aus wie jedes normale junge Mädchen. Sie trug einen dicken Pullover und Jeans, und sie wirkte überhaupt nicht verlegen oder unsicher. Völlig normal blickte sie sich im Zimmer um, nickte vor sich hin, trank die ersten Schlucke und ließ mich dabei nicht aus dem Blick ihrer blauen Strahleaugen.
    »Geht es dir gut, Clarissa?«
    »Ja, sehr gut.«
    »Das freut mich.« Ich wollte die Situation zwischen uns auflockern, deshalb diese normalen Fragen.
    »Und was ist mit Elohim? Bist du noch länger bei ihm gewesen?«
    »Ja, ich mag ihn.«
    »Sehr schön. Dann möchtest du wohl auch bleiben.«
    »Klar.« Sie strahlte plötzlich. »Ich habe auch seinen Vater kennen lernen dürfen.«
    »Oh - und?«
    »Er war sehr nett und menschlich.« Der Vater des Elohim war Raniel, der Gerechte. Man musste ihn als Zwitterperson ansehen. Er war für mich ein Halbwesen. Auf der einen Seite Mensch, auf der anderen Engel, aber er stand nicht auf der Seite der Dunkelheit, auch wenn er sich dort auskannte.
    Den Grund für Clarissas Entführung kannte ich noch immer nicht, und ich wollte sie auch nicht direkt darauf ansprechen.
    Stattdessen sagte ich: »Jetzt bist du also zu mir gekommen.«
    »Bin ich.«
    Ich legte den Kopf schief und zwinkerte ihr zu. »Nur so? Oder hat das einen Grund?«
    Sie überlegte ihre Antwort und trank zunächst von ihrem Saft. »Das hat schon einen Grund gehabt«, gab sie dann zu, »denn ich meine, dass du helfen kannst.«
    »Ich? Dir?«
    »Nein, nicht mir. Du musst einer anderen Person helfen, der es sehr schlecht geht. Sie unternimmt den verzweifelten Versuch, einen Menschen zu finden, der das kann, und es gibt nur sehr wenige auf der Welt. Das steht fest.«
    »Bist du sicher, dass ich dazugehöre?«
    »Ja. Sie hat es schon versucht. Ich habe sie gehört. Es waren die Schreie in meinem Kopf.«
    Da sagte ich erst mal nichts, denn mit ihrer Antwort hatte sie mich kalt erwischt. Ich dachte an die Rufe oder Schreie, die ich gehört hatte. Sie waren nicht direkt echt und trotzdem vorhanden gewesen. Ich hatte sie in meinem Kopf gehört, ohne zu wissen, wie ich sie einzuordnen hatte.
    »Du auch?« flüsterte Clarissa.
    »Ja, das stimmt. Heute Morgen. Es ist noch nicht lange her, da tosten sie durch meinen Kopf.«
    »Dann hat sie einen Weg gefunden. Ich wusste es. Aber ich bin sicherheitshalber selbst gekommen.«
    »Wer hat einen Weg gefunden? Hat die Person denn auch einen Namen? Oder ist sie nur eine Fiktion oder ein Etwas?«
    »Sie hat einen Namen. Sie heißt Michaela.«
    Ich überlegte, ohne zu einem Ergebnis zu kommen, denn den Namen kannte ich zwar, doch ich selbst hatte noch nichts mit einer Michaela zu tun gehabt. Ich konnte mir unter dieser Person nichts vorstellen, was wohl auch Clarissa bemerkte, denn sie blickte mich skeptisch an und meinte: »Du kennst sie nicht - oder?«
    »Nein, ich kenne sie nicht.«
    »Deshalb bin ich gekommen.«
    »Heißt das, dass du mir
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