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1149 - Begraben, aber nicht vergessen

1149 - Begraben, aber nicht vergessen

Titel: 1149 - Begraben, aber nicht vergessen
Autoren: Jason Dark
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nicht durch Handschuhe geschützt wurden. Die würde der einsame Mann erst später überstreifen, wenn es soweit war.
    Er hoffte es.
    Sie hatten ihn in den letzten Nächten nie im Stich gelassen, und das würde auch heute so sein. Sie ließen ihn nicht im Stich. Außerdem war die Nacht noch lang, und bis zum Morgengrauen konnte immer noch viel passieren.
    Der würzige Rauch umwehte ihn. Er genoss es, die Zigarre zu rauchen. Für ihn war sie auch der Gruß einer unerreichbaren Welt, der ihn da umwehte.
    Obwohl er sich nur als winziges Rädchen in einem großen Getriebe fühlte, hatte er manchmal das Gefühl, einer der wichtigsten Menschen auf der Welt zu sein. Das konnte auch mit den angeschwemmten Leichen zusammenhängen. Sie waren etwas Besonderes und vielleicht sogar mehr als wichtig.
    Einmal nur hatte er über dieses Thema mit dem Sohn eines Freundes gesprochen. Der junge Mann gehörte zur gebildeten Schicht. Er studierte sogar in Kiew. Oder hatte studiert. Später war er dann in eine Arbeit eingetreten, die sehr wichtig für das Land war, so jedenfalls hatte man ihm erzählt.
    Der Sohn des Freundes hatte ihm zugehört, gelächelt und ihn dann beruhigt. Er hatte von irgendwelchen Selbstmördern gesprochen, die sich den See als Grab ausgesucht hatten. Daran wollte Kuzow nicht glauben. Er hatte den anderen nur in dem Glauben gelassen, es zu glauben. Kuzow ersetzte sein Wissen eben durch Weisheit. Jedenfalls war der junge Mann wieder verschwunden. Das lag bereits Wochen zurück, und Kuzow hatte nichts mehr von ihm gehört.
    Er rauchte.
    Er lauschte dem Wind, der um seine Ohren wehte. Er hatte das Gefühl, dass er ihm Geschichten über die Ereignisse erzählte, die sich hier in diesem Landstrich einmal abgespielt hatten.
    Wieder glitt der Blick hinaus auf das Wasser. Das Spiel der Wellen hatte nicht aufgehört. Noch immer klatschten sie gegen das Ufer, wo sie sich in hellen Schaum verwandelten und dicht vor seinen Füßen ausliefen.
    Er stand auf.
    Das lange Sitzen hatte ihn etwas steif werden lassen. Kuzow bewegte die Arme und schüttelte auch seine Beine aus. In seinem Alter brauchte man Bewegung.
    Sein Blick fiel nach links. Dort auf dem schmalen Uferweg und ein wenig erhöht malte sich der Umriss seines alten Treckers ab. An ihn war der flache Wagen gespannt worden. Der Trecker war sein großer Stolz. Er hatte ihn aus einer Konkursmasse erworben.
    Kuzow ging auf und ab. Die Bewegung tat ihm gut. Das Blut floss wieder. Er spie den Rest der Zigarre aus und wandte sich wieder dem Wasser zu.
    Nichts war so stetig wie dieses Wasser. Ob es relativ ruhig war wie jetzt oder ob der Sturm den See aufpeitschte, das Wasser blieb bestehen. Im Sommer warm, im Winter kalt. Immer wieder rollten die Wellen an, und sie übten bei ihren Bewegungen eine Faszination auf den einsam stehenden Mann aus. Manchmal hatte er den Eindruck, dass sie ankamen, um ihn zu holen.
    Er schloss die Augen. So hörte Kuzow nur das Rauschen. Es war etwas Besonderes. Er fühlte sich über allem stehend und sogar leicht schwebend. Er hatte sich seine eigene Welt geschaffen. So wie er jetzt da stand, war er sogar in der Lage, irgendwelchen Träumen nachzugehen.
    Nur nicht heute.
    In dieser Nacht nicht.
    Da würde etwas passieren. Er spürte es. Die Wellen trieben ihm nicht in jeder Nacht die Leichen an, aber sein Gefühl sagte ihm, dass es heute wieder der Fall sein würde.
    Kuzow öffnete die Augen. Die innere Unruhe trieb ihn dazu. Er blickte wieder über die dunkle Fläche mit ihren Wellenkronen, auf denen weiterhin Gespenster zu tanzen schienen. Sie bestanden aus Wasser, doch sie sahen aus wie in die Höhe geschleuderte Glasstücke, die in noch kleinere Teile zerbrachen, wenn sie wieder zusammenfielen.
    Dann sah er den Schatten!
    Kuzow hielt den Atem an. Es war die berühmte Sekunde des Erkennens. Er war es gewohnt, dass der Schatten erschien, doch für ihn war es jedes Mal eine Premiere. Das Wasser oder welche Kraft auch immer, hatte da etwas aus der Tiefe gezerrt, um es an Land zu schleudern. Dabei wusste er nie, welch eine Überraschung auf ihn wartete. Erst wenn die Wellen ihre Beute gegen den schmalen Strand schleuderten, bekam er die Lösung präsentiert.
    Der Russe wartete. Über das Wasser hinweg wehte ihm der eisige Wind entgegen. Wie Nadelstiche malträtierte er die Haut des Mannes. Kuzow presste seine Lippen zusammen, um den Wind nicht in seine Mundhöhle fahren lassen zu müssen. Er zitterte auch nicht mehr. Er wusste nur, dass er in wenigen
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