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1149 - Begraben, aber nicht vergessen

1149 - Begraben, aber nicht vergessen

Titel: 1149 - Begraben, aber nicht vergessen
Autoren: Jason Dark
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Sekunden schlauer sein würde.
    Aber der See ließ sich Zeit. Er verhöhnte ihn. Er spielte mit dem Gegenstand. Er schleuderte ihn zwar auf das Ufer zu, aber er holte ihn auf dem Weg auch wieder zurück. Es war ein Spiel, das Kuzow kannte, aber nicht hasste, denn er konnte nichts dagegen tun. Er war nicht stärker als die Natur.
    Die Kraft des Wassers hatte den Körper nach unten gedrückt. Kuzow sah jetzt, dass es ein Körper war und kein großes Stück Treibholz. Aber er konnte nicht erkennen, ob es sich dabei um einen Mann oder eine Frau handelte. Kinder hatte er noch nie aus dem Wasser gezogen. Aber was nicht war, konnte noch werden.
    Das Wasser spielte mit seiner Beute. Es rollte den Körper herum, stieß ihn vor, holte ihn wieder zurück, schleifte ihn durch die Schicht aus Sand und Kies, um ihm dann den letzten Stoß zu geben, der ihn beinahe bis vor die Füße des Wartenden beförderte.
    Kuzow bückte sich. Er hob den Körper an. Es war eine Frau. An ihrem Oberkörper klebten noch die Reste der Kleidung als nasse Lumpen. Manche Leichen hatte er nackt aus dem Wasser gezogen, andere wiederum waren bekleidet gewesen wie diese Frau.
    Der Russe zerrte sie endgültig aufs Trockene. Jetzt leckten die Wellen auch nicht mehr an den Füßen. Sie hinterließen im nassen Sand eine feuchte Spur, als Kuzow seinen Fund bis in die Nähe des altersschwachen Traktors zerrte.
    Dort ließ er die Person zunächst einmal liegen. Er hatte sie auf den Rücken gedreht, wollte sich etwas ausruhen und unter anderem auch das Gesicht genau anschauen.
    In der Dunkelheit schimmerte das Gesicht der etwa 40-jährigen Frau heller als die übrige Gestalt.
    Das Wasser hatte sich an ihr zu schaffen gemacht, und die Haut war aufgedunsen. Sie hatte auch Flecken bekommen, die er sah, als er die Flamme seines Sturmfeuerzeugs über das Gesicht hinweggleiten ließ.
    Wasserleichen sehen nie gut aus, das wusste Kuzow sehr gut. Diese hier machte auch keine Ausnahme. Das Gesicht hätte in jeden Monsterfilm hineingepasst. Es war nicht im Schrecken verzogen.
    In ihm stand so gut wie kein Ausdruck. Es war einfach leer. So leer wie die Augen oder der Blick.
    Nur der Widerschein der Flammen spiegelte sich in den Pupillen wider. Zugleich huschten auch die Schatten der Feuerzeugflamme über das Gesicht. Sie drangen in den offenen Mund ein und schienen von der weiblichen Leiche verschluckt zu werden.
    Ob sie nun ein Kleid oder einen dünnen Mantel getragen hatte, war nicht mehr zu erkennen. Der Stoff klebte völlig nass an ihrem Körper. Wasserpflanzen hatten sich dort abgesetzt und eine dunkelgrüne Schicht gebildet.
    Ächzend richtete sich der Russe wieder auf. Er sprach die Leiche flüsternd an. Seine Worte hörten sich an wie ein Fluch, der erst nach einiger Zeit endete.
    Das dünne Haar klebte ebenfalls nass auf dem Kopf. Durch die Lücken schimmerte die Kopfhaut, die verfärbt war.
    Kuzow blieb neben der Toten stehen und tippte sie mit dem Fuß an.
    Er hörte nichts.
    Kein Laut verließ die Kehle. Die Tote bewegte sich nicht. Sie war einfach nur starr, und Kuzow nickte ihr zu, als wollte er sich mit ihr verständigen.
    Er spie aus. Dann bückte er sich wieder und fasste den, toten Körper unter. Er war nicht nur steif, sondern auch schwer. Wie eine breite Last lag er auf seinen Armen, und Kuzow ging mit ihr die wenigen Schritte bis zu seinem Trecker.
    Es fiel ihm nicht leicht, die Tote zu tragen. Wiederum fragte er sich, warum er das hier alles tat. Er hätte es verdammt auch einfacher haben können, aber wenn er es nicht tat, wer sollte es dann tun?
    Leicht schwankend ging er auf den Leiterwagen zu und schob die Tote auf die Ladefläche. In dieser Nacht hatte er wieder Glück gehabt, und er wusste auch, dass die Nacht noch nicht zu Ende war.
    Deshalb stieg er noch nicht auf seinen Trecker, um nach Hause zu fahren, sondern ging noch einmal zurück ans Ufer. Er überlegte, ob er sich noch einmal auf die Kiste setzen sollte, doch das war nicht nötig, denn der See hatte ihm einen weiteren »Gefallen« getan.
    Er spülte die zweite Leiche an.
    Und die war nackt. Der Körper schimmerte bleich zwischen den Gischtstreifen. Sie umrollten ihn wie einen Teppich, der den Toten immer wieder freigab, ihn weiterschob und schließlich auf den schmalen Strandstreifen rutschen ließ.
    Kuzow ging hin.
    Ein nackter, alter Mann. Er hatte einen Blick dafür, wie alt diese angeschwemmten Menschen waren, die der See freigab. Hier hatte er es mit einem Greis zu tun. Er schätzte
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