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1136 - Das Blut der Bernadette

1136 - Das Blut der Bernadette

Titel: 1136 - Das Blut der Bernadette
Autoren: Jason Dark
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Los, du kannst mich killen. Ich werde mich auch nicht wehren.«
    »Keiner will Sie killen, Polly«, sagte ich in beruhigendem Tonfall. »Und wir wollen es erst recht nicht.«
    Sie stand noch immer am Baum. Atmete heftig. Diese Person litt unter starker Angst. Sie schüttelte sich, holte erneut keuchend Luft und sprach erst dann. »Ich weiß es besser. Viel besser. Sie irren sich, verdammt. Sie irren sich beide.«
    »Tatsächlich?«
    »Ja, ja…« Polly konnte sich nicht beruhigen. Immer wieder schaute sie in die verschiedenen Richtungen. Sie suchte die Umgebung hinter mir ab, doch dort stand nur Jane Collins. Von ihr drohte Polly nun wirklich keine Gefahr.
    Nachdem sie genug gesehen hatte, konzentrierte sie sich wieder auf sich selbst. »Es ist noch Zeit. Es ist noch nicht dunkel. Bitte, lassen Sie mich gehen. Sagen Sie nichts, wenn Sie zum Kloster fahren. Ich möchte weg, verstehen Sie?«
    »Ja, das ist uns klar. Wir haben auch nichts dagegen. Aber Jane und ich wollen Ihnen helfen, Polly. Deshalb ist es besser für Sie, wenn Sie uns berichten, warum Sie fliehen wollen. Vielleicht finden wir eine Möglichkeit, um…«
    »Um Himmels willen, nicht. Tun Sie sich das nicht an. Auf keinen Fall. Sie sind fremd. Sie wissen nicht, was sich hier abspielt. Es ist die Hölle hinter Mauern. Alles ist anders, als es in der Wirklichkeit aussieht. Sie oder andere sehen nur nach vorn und immer nur das, was sie sehen sollen. Aber hinter den Kulissen sieht es schlimm aus.« Ihre Augen hatten sich weit geöffnet. Jetzt war auch Jane zu uns gekommen, um jedes Wort zu hören.
    »Hinter den Kulissen?« fragte sie.
    »Ja.«
    »Was meinen Sie damit?«
    Polly schloß die Augen. Die nächsten Worte waren nur ein Flüstern. »Fragen Sie mich nicht weiter, Jane. Ich… ich… kann es Ihnen nicht sagen. Sie würden mich für verrückt halten. In diesem Heim geht etwas vor. Es ist meine letzte Chance, dem Grauen zu entwischen. Sie bereiten sich… ich… ich… weiß es nicht genau.«
    »Wußte Rita es?« fragte Jane leise.
    Ich hatte ihr die Initiative überlassen und war zur Seite getreten, um meine Blicke durch den Wald schweifen zu lassen. Es war still in der Umgebung. Da bewegte sich nichts. Trotzdem wollte das ungute Gefühl nicht von mir weichen. Irgend jemand hielt sich hier verborgen. Tief in die Büsche zurückgezogen. Wie ein Schatten, der alles unter seiner Kontrolle hielt. Natürlich dachte ich an die drei Toten und selbstverständlich auch an den Motorradfahrer.
    »Rita?« hörte ich Polly fragen. »Was… was… wissen Sie denn von Rita?«
    »Nicht viel. Zu wenig vielleicht.«
    »Hat sie es geschafft?«
    »Was meinen Sie damit?« fragte Jane.
    »Sie wollte auch weg.«
    »Ja, das wissen wir.«
    »Und…« Die Angst war bei Polly noch vorhanden, aber eine gewisse Hektik war ebenso stark. »Sie muß es geschafft haben, sonst wäre - ich meine, sonst hätten Sie es nicht gewußt.«
    »Hatte Rita ein bestimmtes Ziel?«
    Polly lachte. »Ein Ziel ist gut. Ja, es gibt so viele Ziele. Egal, ob real oder rein geistig, wie auch immer. Nur haben wir das Pech, höchstens an die geistigen Ziele heranzukommen, leider nicht an die realen. Versteht ihr das?«
    »Nein!«
    »Wir kommen nicht weg!« sagte sie. »Wir kommen aus dem Heim nicht weg. Wir sind wie Gefangene. Wir haben alles. Man kümmert sich um uns, aber das verdammte Kloster liegt doch mitten in der Prärie. Es gibt kein Dorf und auch keine Stadt. Es gibt nichts, das wir uns als Fluchtpunkt aussuchen können.«
    »Bis auf den Bauernhof«, sagte ich.
    »Ja!« flüsterte Polly. »Ja. Das wäre eine Chance gewesen. Und genau dort wollte Rita auch hin. Sie kannte die Leute nicht. Niemand kennt sie. Es ist alles von uns abgehalten worden. Man will die Mädchen erziehen und sie zu besonderen Mitgliedern der Gesellschaft machen. So lautet das Ziel. Aber man merkt nicht, daß man ihnen das Leben nimmt. So war es auch bei mir. Ich habe es auch nicht gemerkt. Ich habe mich blenden lassen…«
    »Aber Sie sind keine Schülerin mehr«, sagte ich.
    »Stimmt. Zum Glück nicht. Ich arbeite dort für Gotteslohn, wie die Oberin sagt.«
    »Wie sieht der aus?«
    Polly verzog die Mundwinkel. »Ich habe alles, was ich brauche. Essen, Trinken, ein Zimmer, ein Bett, einige Habseligkeiten und auch die Arbeit.«
    »Und was tun Sie dort genau?« fragte Jane.
    Polly senkte den Kopf. Ihre Haltung hatte sich wieder ein wenig entspannt. Sie lehnte zwar noch immer am Baumstamm, jedoch nicht so steif und verkrampft.
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