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1133 - Der Mönch mit den Totenaugen

1133 - Der Mönch mit den Totenaugen

Titel: 1133 - Der Mönch mit den Totenaugen
Autoren: Jason Dark
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waren aufgestellt worden, und er hatte sie auch akzeptiert.
    Er kannte die Prozedur genau. Zuerst wurde der Gefangene mürbe gemacht. Lange, lange Zeit ließ sich niemand blicken. Erst wenn die Kraft am Ende war, würden sie erscheinen, um Wasser und Brot zu bringen. Sie würden die Gnädigen spielen, aber sie würden nicht verzeihen. Dazu kannte er sie gut genug.
    Aslan hockte zusammengekrümmt auf dem kalten Boden. Er bestand aus einer Mischung zwischen Steinen und Lehm. Beides klebte zusammen und war im Laufe der Zeit fast so hart wie Beton geworden.
    Warten, nur warten…
    Stundenlang. Vielleicht auch einen Tag und noch eine Nacht. Erst dann war ein Mensch reif. Da kannten sie sich aus. Sie waren mit allen Wassern gewaschen.
    Zuerst bildete er sich die Stimme nur ein. Sie war sehr leise, ein schon leicht unterdrücktes Flüstern.
    Vielleicht war sie auch ein Resultat seiner überreizten Phantasie. Oder ein Wunschtraum. Eine akustische Halluzination.
    So dachte er, aber sein Denken änderte sich, denn die seltsame Stimme verklang nicht. Sie wehte noch immer flüsternd an seinen Ohren vorbei.
    »He, Aslan…«
    Irrtum? Täuschung? Hatte er sich etwas eingebildet? War sein Wunschtraum so stark?
    Er konnte es nicht sagen. Er war völlig durcheinander. Jemand in seiner Lage sah irgendwann Engel und Teufel in einem gemeinsamen Reigen, obwohl es so etwas nicht gab.
    Seine Tränen hatten aufgehört. Er hatte auch die Arme sinken lassen und seine Hände gegen den Boden gestützt. Er saß da wie jemand, der sich die Rückkehr eines Echos wünschte.
    Hatte wirklich jemand seinen Namen gerufen?
    Der Mönch hatte sich die Frage kaum gestellt, als er es wieder hörte. »He, Aslan…«
    Wieder schrak er zusammen. Und plötzlich wußte er, daß er keiner Täuschung anheimgefallen war.
    Es gab die Stimme.
    Er richtete sich etwas auf, blieb aber nach wie vor auf dem kalten Boden sitzen. »Ich bin hier. Hat mich jemand gerufen? Seid ihr an der Tür?«
    »Nein, Aslan, ich bin hier.«
    »Wie hier?«
    »Bei dir.«
    Er hatte seinen Zustand noch nicht vergessen, aber die Schmerzen interessierten ihn nicht mehr.
    »Ich kann dich nicht sehen. Wie kannst du hier sein? Wie bist du überhaupt hier hereingekommen?«
    »Ich kann alles, Aslan.«
    Jetzt hörte er die Stimme direkt vor sich und duckte sich zusammen. Der andere war ihm in der Dunkelheit so nah, daß er nur die Hand auszustrecken brauchte, um ihn zu erreichen. Das tat er nicht, und auch Aslan hütete sich vor einer falschen Bewegung, denn er wollte nichts verkehrt machen.
    Er wußte auch nicht, wie er den unbekannten Sprecher einschätzen sollte. War er ein Freund? War er ein Feind? Er konnte alles mögliche sein, aber Aslan wußte noch immer nicht, wie er es geschafft hatte, das Verlies zu betreten.
    »Wer bist du denn?«
    Der Mönch hörte ein leises Lachen und erst danach wieder die Stimme. »Wer ich bin? Gute Frage. Ich bin jemand, nach dem sich viele Menschen sehnen. Verstehst du?«
    »Kaum…«
    »Gut, ich will es dir erklären. Ich habe Macht, ich habe Einfluß. Ich kann den Menschen zu dem verhelfen, was sie am liebsten mögen. Macht und Geld. Und deshalb beten mich viele an. Es gibt Menschen, die mich für den wahren Herrscher der Welt halten. Das mag auch stimmen. Es macht mich zudem stolz, aber ich suche mir immer genau die Menschen aus, mit denen ich Kontakt haben möchte.«
    »Ach - und das bin ich in diesem Fall?«
    »Ja, Aslan - du!«
    Der einsame Mönch konnte nicht sprechen, weil ihn die eigenen Gedanken durcheinander brachten.
    Er hatte viel gehört und dabei wenig erfahren. Der Unsichtbare überließ es ihm, die richtigen Schlüsse zu ziehen.
    Es war kalt hier unten. Eine sommerliche Wärme drang bis in dieses Verlies nie ein. Doch die Kälte, die ihn jetzt streifte, war schon eine andere.
    Aslan hatte sie noch nie in seinem Leben gespürt. Sie war nicht feucht, sie war wie zum Greifen nahe. Sie war einfach anders, und sie wischte an seinem Gesicht vorbei, wie eine trockene Feder, die ihn streifte.
    Ein Geist?
    Er glaubte an Geister, wie auch seine Mitbrüder. Sie waren da, und es gab Menschen, die ein »Auge« für sie hatten, bisher war er noch nie in die Verlegenheit gekommen, nach Geistern forschen zu müssen. Jetzt sah er es anders.
    Schutzengel!
    Auf einmal fuhr ihm dieser Begriff durch den Kopf. Ja, es konnte durchaus ein Schutzengel sein.
    Jeder Mensch hatte einen. Er und seine Mitbrüder hatten schon oft darüber geredet. Man konnte ihn nicht fassen, man
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