Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
11 - Die Helden des Westens

11 - Die Helden des Westens

Titel: 11 - Die Helden des Westens
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
man gezwungen, an keiner Spur leichtsinnig vorüberzugehen. Man muß stets wissen, wen man vor oder hinter sich hat, sonst kann es leicht geschehen, daß man früh tot aufsteht, wenn man sich am Abend lebendig in das Gras gelegt hat. Vorwärts also!“
    Sie ritten bis an den Felsen hin und blieben dort halten, die Fährte mit Kenneraugen musternd.
    „Was sagst du dazu?“ fragte Davy.
    „Eine Fährte natürlich!“ lachte der Dicke.
    „Ay, ein Turmseil ist's freilich nicht; das sehe ich auch. Aber was für eine Art von Fährte?“
    „Von einem Pferd.“
    „Hm! Das sieht ein jedes Kind. Oder meinst du etwa, ich sei der Ansicht, daß hier ein Walfisch vorübergeschwommen sei.“
    „Nein, denn dieser Walfisch könntest nur du gewesen sein, und von dir weiß ich ja ganz genau, daß du nicht von meiner Seite gekommen bist. Übrigens kommt mir diese Spur sehr verdächtig vor.“
    „Warum?“
    „Bevor ich dir antworte, will ich sie mir erst einmal genauer betrachten, denn ich habe gar keine Lust, mich vor dir altem Knaben zu blamieren.“
    Er sprang vom Pferd und kniete in das Gras nieder. Sein alter Klepper hielt, als ob er Menschenverstand besitze, das Maul in das niedergetretene Gras und schnaubte leise. Auch das Maultier trat nahe herbei, wedelte mit dem Schwanz und den beiden langen Ohren und schien sich die Fährte zu betrachten.
    „Nun?“ fragte Davy, welchem die Untersuchung zu lange dauerte. „Ist's gar so wichtig?“
    „Ja. Hier ist ein Indianer geritten.“
    „Meinst du? Das wäre freilich auffallend, da wir uns nicht auf dem Jagd- oder Weidegrund eines Stammes befinden. Warum vermutest du, daß es ein Indsman gewesen ist.“
    „Ich sehe es an den Hufspuren, daß das Pferd auf indianische Weise geschult ist.“
    „Dennoch kann es von einem Weißen geritten sein.“
    „Das sage ich mir auch, aber … aber …“
    Er schüttelte nachdenklich den Kopf und verfolgte die Spur eine kurze Strecke weiter. Dann rief er zurück:
    „Komm nach! Das Pferd war nicht beschlagen, sondern barfuß. Auch ist es sehr müde gewesen, und dennoch hat es galoppieren müssen. Der Reiter hat es also sehr eilig gehabt.“
    Jetzt stieg auch Davy ab. Was er gehört hatte, war wichtig genug, zu einer sorgfältigen Untersuchung zu veranlassen. Er schritt dem Dicken nach, und die beiden Tiere liefen hinter ihm her, als ob sie sich gedacht hätten, daß sich das von selbst verstehe. Bei Jemmy angekommen, ging er mit diesem noch weiter, längs der Fährte hin.
    „Du“, meinte er, „das Pferd ist wirklich übermüdet gewesen; es hat sehr oft gestrauchelt. Wer sein Tier in solcher Weise anstrengt, der muß triftige Veranlassung dazu haben. Entweder ist der Mann verfolgt worden, oder er hat Grund gehabt, sein Ziel so schnell wie möglich zu erreichen.“
    „Das letztere ist der Fall, das erstere nicht.“
    „Wieso?“
    „Wie alt ist diese Fährte?“
    „Zwei Stunden ungefähr.“
    „Das sage ich auch. Noch gibt es keine Spur eines Verfolgers, und wer einen Vorsprung von zwei Stunden hat, der reitet sein Pferd nicht zu Tode. Übrigens gibt es hier so viele zerstreute Felsen, daß es ihm leicht gewesen sein würde, seinen Verfolger irre zu führen, indem er unbemerkt einen Bogen geschlagen hätte oder im Kreis geritten wäre. Meinst du das nicht auch?“
    „Ja. Uns beiden zum Beispiel würde ein Vorsprung von zwei Minuten genügen, um die Verfolger mit einer ganz gehörigen Nase heimzuschicken. Also stimme ich dir bei. Der Mann hat schnell an sein Ziel gewollt. Aber wo mag dasselbe liegen?“
    „Jedenfalls nicht weit von hier.“
    Der Lange blickte dem Dicken erstaunt in das Gesicht.
    „Du scheinst heute allwissend zu sein!“ sagte er.
    „Um das zu erraten, bedarf es keiner Allwissenheit, sondern nur ein wenig Nachdenkens.“
    „So. Nun, ich denke ja eben darüber nach, und zwar ganz vergeblich.“
    „Das ist bei dir gar kein Wunder.“
    „Wieso?“
    „Du bist zu lang. Ehe bei dir die Überlegung von der Fährte hier unten bis hinauf in deinen Verstand kommt, können leicht Jahrtausende vergehen. Ich sage dir, daß das Ziel dieses Reiters gar nicht weit von hier zu suchen ist, sonst hätte er sein Pferd geschont.“
    „So! Den Grund höre ich; aber begreifen kann ich ihn nicht.“
    „Nun, ich kalkuliere: Hätte der Mann noch einen Tagesritt zu machen gehabt, so wäre das Pferd für eine solche Strecke zu ermüdet gewesen; er hätte es also unbedingt einige Stunden lang ausruhen lassen, und sodann dieses kurze
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher