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1090 - Für immer und ewig

1090 - Für immer und ewig

Titel: 1090 - Für immer und ewig
Autoren: Jason Dark
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existierte, und er drehte sich jetzt mit einer sehr langsamen Bewegung herum. Alles sah so bedächtig aus, auch vorsichtig. Wie bei einem Menschen, der lange in einem Krankenbett gelegen hatte und nach Wochen zum erstenmal wieder aufstand.
    Der erste Schritt.
    Das mühsam wirkende Anheben des Beins. Das Aufsetzen des Fußes. Das leise Knacken eines Gelenks oder einer Sehne, das alles war sehr deutlich zu hören. Der zweite Tritt sah schon besser aus.
    Der dritte noch besser, und die unheimliche Gestalt begann, das Gehen zu lernen. Sie bewegte sich durch die Totengruft, vorbei an den sechs Särgen, von denen einer offenstand.
    Die Laute wirkten in dieser Gruft fremd. Schuhe scheuerten über den Boden hinweg. Aus dem offenen Maul drangen krächzende Geräusche, und das alte Gebiß sah aus wie ein Lattenpfahl, an dem die Zeit genagt hatte.
    »Henry…?«
    Die Stimme der Frau ließ ihn innehalten. »Ja, was ist denn?«
    »Ich höre etwas. Bist du frei?«
    »Sicher, Darling.«
    »Oh, da komme ich auch«, erklang die Stimme der »Toten«.
    Dagegen hatte Sir Henry etwas. »Nein, Elisa. Du brauchst dich nicht anzustrengen. Der Deckel ist zu schwer für dich…«
    »Ich habe Kraft.«
    »Nein, ich mache es.«
    »Dann komm bitte. Ich hasse die Dunkelheit. Ich will nicht mehr, verstehst du?«
    »Ich bin schon bei dir, meine Liebe.«
    Die Gestalt drehte sich um. Mit einem noch leicht unsicheren Schritt näherte sich Sir Henry dem Sarg seiner Frau. Er achtete nicht auf die huschende Bewegung, als zwischen den anderen Sarkophagen eine Maus herlief, obwohl er einen starken Hunger verspürte.
    Neben Lady Elisas Sarkophag blieb er stehen und beugte seinen Oberkörper vor.
    Staub war durch das Fenster gedrungen und hatte sich auf dem Deckel angesammelt. Es lag dort als dünne Schicht und klebte mit der Feuchtigkeit zusammen.
    Beide Hände stützte Sir Henry gegen den Deckel. Er wollte ihn ebenso zur Seite drehen wie er es bei seiner letzten Ruhestätte getan hatte. Dann überlegte er es sich anders. Er packte noch fester zu und schaffte es, den Sargdeckel mit einem heftigen Ruck in die Höhe zu hieven, so daß er freien Blick auf seine Gattin bekam.
    Sie lag auf dem Rücken. Weit standen ihre Augen offen, und sie bot ein makabres Bild, das schaurig und verrückt zugleich war, denn sie trug noch ihr Hochzeitskleid.
    Es war weiß, tief ausgeschnitten, aber verblichen. Sogar die Schultern lagen frei, und am hinteren Teil des Kopfes hing noch ein Stück des alten Schleiers.
    Sie starrte ihn an, ohne etwas zu sagen, und Sir Henry schaute zurück. Im Gegensatz zu ihm wuchsen auf dem Kopf der Frau noch Haare. Sie allerdings hatten sich etwas zurückgezogen, so daß sie nur den hinteren Teil des Kopfes bedeckten. Sie waren auch nicht grau oder verfilzt, sondern rötlich, was daran lag, daß sich das austretende Blut in die ehemals blonde Haarfülle gemischt hatte. Der vordere Teil des Kopfes wirkte bis zur Stirn wie abrasiert. Aber er war auch nicht glatt, sondern leicht gewellt. Das lag an den Hautstücken, die wie Lappen ausgeschnitten worden waren, um später wieder auf den Kopf gesetzt zu werden.
    Die hohe Stirn und das im Verhältnis dazu kleine Gesicht. Klein und zugleich rund. Fast schon mit einem Ball zu vergleichen, der eine Nase, einen Mund und auch Augen bekommen hatte. Die Wangen waren relativ glatt, an ihnen war kaum herumgeschnitten worden. Die kleine Nase wirkte wie ein Knubbel. Sie wurde rechts und links von scharfen Falten begrenzt. Der Mund paßte in seiner Form ebenfalls dazu. Auch er war klein, aber etwas verzogen, wie bei einem quengelnden Kind.
    Elisa besaß noch ihre Lippen, auch wenn diese aufgerissen waren und eingetrocknetes Blut darauf klebte.
    Sir Henry beugte sich tiefer. Sein lippenloses Maul zeigte so etwas wie ein Lächeln. »Ich freue mich auf dich, weil ich dich noch immer liebe, Elisa.«
    »Ich auch, Henry.«
    »Und jetzt komm zu mir, Geliebte.« Er streckte ihr die Hände entgegen, und Elisa hob ihre Arme an.
    Sie tat es mit einer mühsamen Bewegung, denn sie wirkte wie eingerostet.
    Henry faßte zu. Er umklammerte ihre Gelenke und half ihr, den Körper in die Höhe zu drängen.
    Sie lächelte. Der kleine Mund zuckte. Es war kein fröhliches Lächeln, eher verbissen und auch wütend. Als sie stand, trat Sir Henry einen Schritt zurück.
    Elisa fiel ihm entgegen. Er fing sie mit beiden Händen ab, und sie umarmten sich.
    Zwei Zombies, die wie ein Liebespaar wirkten, standen dicht beisammen, ohne sich zu
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