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1043 - Engelkinder

1043 - Engelkinder

Titel: 1043 - Engelkinder
Autoren: Jason Dark
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ohne selbst gesehen zu werden.
    Ja, sie waren da. Sie warteten. Sie würden aber nicht mehr lange warten. Bestimmt nicht bis Mitternacht, denn dann war das Ultimatum abgelaufen.
    Sie nannten sich Engelkinder und benahmen sich auch so. Zumindest, was sie darunter verstanden.
    Sie trugen Lichter, die in der dunstigen Finsternis wie ferne Sterne wirkten, vor die sich dünne Wolkenstreifen geschoben hatten. Ihre langen Gewänder waren nur zu ahnen, aber sie waren da und würden nicht mehr lange warten. Noch hatten sie das Grundstück nicht betreten. Vielleicht wollten sie auch, daß eine der beiden Frauen herauskam und sie einließ. Aber da irrten sie sich. Auf keinen Fall würden Harriet oder Cosima ihnen freiwillig entgegentreten.
    Es saß schon ein dicker Kloß in Harriets Kehle, als sie den Vorhang wieder schloß und sich erneut umdrehte. Ihre Schwester saß noch immer an der gleichen Stelle.
    »Es wird Zeit, Cosima.«
    »Jetzt?«
    »Möglichst sofort.«
    Cosima Wayne nickte. Sie stand auf, und sie tat es langsam, während sie einen letzten Blick durch die Wohnküche warf, wo ihr jedes Detail in all den langen Jahren so vertraut geworden war. Es waren Blicke des Abschieds, denn sie und ihre Schwester Harriet würden nie mehr hierher zurückkehren.
    Harriet war schon in den Flur gegangen und hatte dort das Licht eingeschaltet. Die Lampe unter der Decke war mit einem Tuch verhängt worden, damit sich die Helligkeit in Grenzen hielt. Die beiden Frauen wollten nicht gesehen werden.
    Harriet handelte wie immer. Sie streifte ihren Mantel über und stellte den Kragen hoch. Den gleichen Mantel besaß auch Cosima, und Harriet half ihrer Schwester hinein.
    »Knöpf ihn zu, bitte. Es wird kalt.«
    »Spielt das noch eine Rolle?«
    »Wir sollten unsere Würde bewahren.«
    »Ja, du hast recht.« Cosima schloß die Knöpfe. Sie hatte eigentlich immer das getan, was Harriet wollte. Schon als kleines Kind war Cosima immer die zweite gewesen. Außerdem war sie die jüngere, denn sie war einige Minuten später geboren.
    »Die Fellmützen?«
    Harriet schüttelte den Kopf. »Nein, die brauchen wir nicht. Auch nicht die Kopftücher.«
    »Gut, wie du meinst.«
    Harriet legte den Finger auf die Lippen. »Und jetzt leise, sehr leise. Ich will nicht, daß sie uns sehen, und ich denke auch, daß keiner von ihnen ahnt, was wir wirklich vorhaben. Sie sollen sich geschnitten haben, aber alle.«
    »Du bist so stark, Harriet.«
    »Ach, hör auf. Ich sage dir lieber nicht, wie ich mich fühle. Aber wir müssen es tun.«
    Cosima schwieg. Ihre Schwester hatte recht. Sie mußten es tun. Sie hatten es oft durchgespielt.
    Doch den letzten Schritt zu gehen, fiel so verdammt schwer.
    »Bist du fertig?« fragte Harriet.
    »Ja.«
    »Dann komm.« Harriet löschte das Licht. Im Dunkeln gingen die beiden Frauen durch den Flur auf die Hintertür zu, wo die Decke des alten Hauses sich etwas senkte und ein großgewachsener Mensch den Kopf hätte einziehen müssen.
    Die Tür war abgeschlossen, aber der Schlüssel steckte von innen. Harriet hatte die Führung übernommen und behielt sie auch. Sie drehte den Schlüssel zweimal herum. Der alte Riegel des Schlosses schnappte zurück, dann konnte Harriet die Tür aufziehen.
    Leider quietschen die Angeln. Dieses Geräusch war in der nächtlichen Stille ziemlich weit zu hören.
    Die alten Frauen hofften nur, daß es nicht bis zu den wartenden Engelkindern drang.
    Gebannt lauschend blieben die beiden auf der Schwelle stehen. Sie horchten nach fremden Geräuschen, nach Schritten oder irgendwelchen Rufen der Verständigung.
    Kein Laut drang an ihre Ohren. Über der Rückseite ihres Grundstücks breitete sich völlige Stille aus. Nicht einmal vom nahen See her hörten sie Geräusche. Da quakte kein Frosch, da klatschten nicht einmal Wellen in den lichten Grasgürtel des Ufers.
    »Ich denke, wir können!« wisperte Harriet.
    »Ja, natürlich.« Cosima legte beide Hände für einen Moment auf die Schultern ihren Zwillingsschwester, als wollte sie deren Körperwärme spüren, um den nötigen Rückhalt zu bekommen. Beide wußten, welch schwerer Weg noch vor ihnen lag, aber sie hatten es sich versprochen, und dieses Versprechen würden sie in dieser düsteren, dunstigen und auch kalten Dezembernacht einhalten.
    Vom Ort sahen sie nichts. Seine Häuser standen an der Vorderseite ihres Hauses, und auch nur vereinzelt, denn die Schwestern lebten am Stadtrand.
    Etwa eine Minute warteten sie ab. Der dünne Atem kondensierte vor ihren
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