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1043 - Engelkinder

1043 - Engelkinder

Titel: 1043 - Engelkinder
Autoren: Jason Dark
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»Gut, daß Sie schon hier sind, Mr. Sinclair. Die Leute löchern mich.«
    »Sie sind eben eine gefragte Person.«
    »Manchmal hasse ich meinen Job.«
    »Kann ich verstehen. Mir ergeht es nicht anders. Haben Sie die Tür öffnen lassen?«
    »Ja, der Notdienst ist gleich nebenan und hat sofort auf meinen Anruf reagiert. Ein Mann wartet vor der Wohnungstür.«
    »Okay, dann lassen Sie uns hochfahren.«
    Die Blicke der in der Halle stehenden Hausbewohner brannten gegen unsere Rücken, als wir auf einen der Fahrstühle zugingen. Myers war froh, als sich die Tür hinter uns geschlossen hatte. Es war nicht weit, bis zur sechsten Etage, und als wir dort ausstiegen, hielt sich nur der Mann vom Schlüsseldienst im langen Flur auf.
    Myers ging vor. Im kalten Licht der Beleuchtung warf sein Körper einen Schatten. Es war wie in jeder Etage. Tür reihte sich an Tür. Eine regelrechte Wohnmaschine, in der jeder sein eigenes kleines Reich hatte. Abgeschlossen. Nur keinen anderen an sich herankommen lassen. Anonym sein, keine große Verantwortung tragen. Auch das waren leider Zeichen der Zeit geworden.
    Vor der entsprechenden Tür blieben wir stehen. Der Mann vom Schlüsseldienst arbeitete routiniert und geschickt. Schließlich war die Tür offen.
    Wir traten ein…
    ***
    Die Angst ließ die Herzen der beiden alten Frauen schneller klopfen. Harriet Wayne, die am Fenster des kleinen Hauses stand, drehte sich zu ihrer Schwester Cosima um. »Ich glaube, daß sie jetzt kommen. Ja, sie kommen jetzt.«
    »Wer?«
    »Du kennst sie.«
    »Die Engelkinder?«
    »Ja.«
    Cosima Wayne atmete stöhnend. Sie saß am Tisch und hatte ihre Hände wie zum Gebet gefaltet.
    »Was machen sie?«
    »Nichts«, flüsterte Harriet und schaute wieder nach draußen. »Sie stehen einfach nur da und warten.«
    »Worauf denn?«
    »Daß wir etwas unternehmen.«
    Cosima sprach erst nach einer Pause weiter. Sie sagte nur ein Wort und ließ es ausklingen.
    »Und…?«
    »Nichts, liebe Schwester. Wir haben es so besprochen, und ich denke, daß wir auch dabei bleiben sollten.«
    Cosima hob den Kopf. Ihre Zwillingsschwester Harriet hatte sich wieder umgedreht. Beide schauten sich so starr an, als wollten sie in den Köpfen der jeweils anderen lesen. Dabei wußten sie Bescheid.
    Sie hatten alles gemeinsam besprochen, aber den letzten Schritt zu tun, das fiel ihnen doch schwer.
    »Ich dachte nicht, daß sie noch vor Weihnachten kommen würden, Harriet.«
    Beinahe böse lachte die Zweiundsiebzigjährige auf. »Was denkst du dir denn? Die wollen alles oder nichts. Und das so schnell wie möglich. Pardon kennen sie nicht.«
    »Sollen wir nicht doch nachgeben?«
    »Was?« Harriet erschrak. »Wie kommst du darauf, Cosima? Nein, auf keinen Fall. Dann sind wir endgültig verloren.«
    »Könnten aber am Leben bleiben.«
    Harriet war entschieden dagegen. »Das ist kein Argument, Cosima. Das ist es nicht. Was wäre das denn für ein Leben, das wir dann noch führen könnten? Völlig unfrei. Nur unter dem Druck der anderen stehend. Nein, auf keinen Fall.« Sie löste sich vom Fenster und ging entschlossen auf ihre Schwester zu. »Wir haben unser Leben gelebt, Cosima. Wir haben es hinter uns. Wir sind über Höhen gegangen, aber auch in Schächte gerutscht. Wir haben alles gemeinsam getan, wie es sich für Zwillinge gehört. Wir haben nicht geheiratet, weil wir allein bleiben wollten. Wir haben unser kleines Geschäft hier aufgebaut, und wir haben das Land erworben, als es noch preisgünstig gewesen ist. Wir sind bewußt recht einsam geblieben, und wir haben uns versprochen, daß, wenn jemand von uns stirbt, die andere nachfolgen wird.«
    »Ja, ich weiß, Harriet.«
    »Dann müssen wir uns auch an die Regeln halten.«
    Cosima schaute hoch. Sie sah das Gesicht ihrer Schwester Harriet, das in den letzten Jahren so faltig geworden war. Auch die müden Augen paßten dazu, denn die alte Energie war daraus gewichen.
    Die gab es schon sein Monaten nicht mehr.
    Cosima wußte auch, daß sie ihrer Schwester aufs Haar glich. Mehrmals atmete sie tief ein und aus.
    »Ich weiß ja, daß du recht hast«, flüsterte sie. »Aber du mußt auch verstehen, daß es mir schwerfällt.«
    »Mir ebenfalls.«
    »Du bist schon immer die Stärkere von uns beiden gewesen. Ich habe dich dafür stets bewundert.«
    »Es ist egal jetzt.«
    Cosima senkte den Blick. »Sicher, es ist egal.«
    Harriet ging wieder zum Fenster. Sie schob die beiden Vorhanghälften so weit auseinander, daß sie nach draußen schauen konnte,
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