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103 - Panoptikum der Geister

103 - Panoptikum der Geister

Titel: 103 - Panoptikum der Geister
Autoren: Larry Brent
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jedoch keinen Sinn mehr. Was
vergangen war, interessierte ihn nicht mehr. Nur das, was er im Augenblick
machte, zählte für ihn, damit beschäftigte er sich intensiv. So genoss er den
Augenblick der Fertigstellung Quasimodos. In der hintersten Ecke, vor der der
Boden zu einem Podest erhöht war, fand der Bucklige seinen endgültigen Platz.
An der Decke über Quasimodo war eine alte Glocke angebracht, und George Hunter
drückte seiner vollendeten Wachsfigur mit den zerlumpten Kleidern und dem
zottig um den Kopf hängenden Haar das dicke, verstaubte Glockenseil in die
Hand. „So“, sagte er in einem Anflug von Humor und klopfte dem Buckligen auf
die Schulter. „Dann zieh mal kräftig.“ Seine Worte waren noch nicht richtig
verklungen, da passierte es schon. Der Bucklige beugte sich nach vorn. Dumpf
und laut schlug der Klöppel gegen die Innenseite der Glocke. Mit einem
Aufschrei fuhr George Hunter zusammen, tat zwei Schritte rückwärts, und lief in
blasse Hände, die sich gierig nach ihm ausstreckten. Hunter starrte in die
mordlüsternen Augen der Wahnsinnigen und Mörder, und die sezierenden Blicke von
Jack the Ripper und Terry Whitsome schienen ihn durchbohren zu wollen ...
    Über Hunters
Lippen kam ein Stöhnen. Er schlug um sich und versuchte sich den Zugriffen der
kalten, harten Hände zu entwinden. Aber das gelang ihm nicht. Im Nu war er
eingekreist und gepackt. Eiswasser statt Blut schien durch seine Adern zu fließen,
und namenloses Grauen erfüllte ihn. Er glaubte nicht an das, was er erlebte.
Das war ein Wahn, eine Halluzination! Seine Einsamkeit, seine besondere Art zu
leben, sein ungewöhnliches Hobby, dies alles trug sicher mit dazu bei, dass er
nun Dinge sah, hörte und sogar fühlte, die es eigentlich gar nicht geben
durfte. Seine Geschöpfe des Grauens waren zum Leben erwacht! Terry Whitsome
stand direkt vor ihm und grinste kalt. „Du hast uns wieder Körper gegeben,
George Hunter“, wisperte er heiser. „Dafür danken wir dir ...“
    „Aber wieso
... was ...“ Hunter war unfähig, einen vollständigen Satz zu bilden. Er wurde
herumgerissen und konnte sich nicht befreien, nur schreien. Aber hier in dem
abgeschiedenen Gemäuer gab es niemand, der ihn hätte hören können. „Lass mich
los!“, brüllte er. „Ich erwarte Besuch ... dies ist ein großer Tag für mich.“
Er wusste selbst nicht, wie er ausgerechnet jetzt in diesem Augenblick dazu
kam, solche Bemerkungen zu machen. Er drehte offenbar völlig durch, aber etwas
an seinem Zustand stimmte nicht. Wenn er selbst noch erkannte, dass dieses
Ereignis eigentlich unmöglich sein konnte, dann funktionierte sein Denkvermögen
noch. Dies aber bedeutete, dass er sich nichts einbildete, sondern die Dinge
wirklich in diesen Sekunden passierten. Er begriff die Welt nicht mehr. Er war
in den Händen der Gestalten, deren Körper er detailliert und mit großem
Sachverstand nachgebildet hatte. Gierige Augen starrten ihn kalt und
durchdringend an, fahle Münder bewegten sich, und aus wächsernen Kehlen kam teuflisches
Kichern. Insgesamt waren es sechs Wahnsinnige und Massenmörder, die hier unten
in der Horror-Kammer bis vor wenigen Minuten noch gestanden hatten. Nun standen
sie nicht mehr auf ihren Plätzen, jetzt bewegten sie sich und liefen lebendig
herum, erfüllt von gespenstischem Leben. Auch Quasimodo lebte. Aber er verließ
seinen Platz nicht. Kraftvoll und rhythmisch zog er am Seil, und das Dröhnen
der Glocke erfüllte den Keller und das ganze Haus, so dass ein Vibrieren durch
die dicken Wände lief. Mit Gelächter und Kichern, Ächzen und Keuchen schleiften
die zum Leben erwachten Mörder und Irrsinnigen aus dem Horror-Panoptikum ihren
Schöpfer in die Werkstatt zurück, wo an diesem Tag Quasimodo seinen letzten
Schliff erhalten hatte. Zwei Massenmörder, zwei kräftige, muskelbepackte
Burschen mit niedriger Stirn und kleinen, listig funkelnden Augen, hielten ihn
fest. Die anderen traten zur Seite.
    Terry
Whitsome öffnete eine Tür zu einer Kammer, in der George Hunter sein Magazin
untergebracht hatte. In alten Regalen lagen Ersatzteile. Wächserne Hände, Arme
und Beine, unmodellierte Köpfe und viele Torsi. In der hintersten Ecke standen
sogenannte Rohlinge, fertig montierte Gestalten, deren Proportionen schon
stimmten, deren Kopf jedoch noch nicht ausgearbeitet war. Viele angefangene und
nie vollendete Puppen hatten hier im Lauf von Jahren ihre endgültige
Aufbewahrungsstätte gefunden. Aus schreckgeweiteten Augen beobachtete
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