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093 - Der Geist im Totenbrunnen

093 - Der Geist im Totenbrunnen

Titel: 093 - Der Geist im Totenbrunnen
Autoren: Cedric Balmore
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Gesicht eines ernsten, etwa fünfunddreißig jährigen Mannes mit hoher Stirn und großen, verträumt wirkenden Augen, deren Romantik jedoch von einem markanten, energischen Kinn gedämpft und gleichsam korrigiert wurde.
    Leroy Chester fand das Gesicht auf dem Bild anziehend. Es kam ihm irgendwie bekannt vor, wenn auch nur vage und sehr verschwommen; es war, als habe er es schon gesehen und bewundert, aber er vermochte nicht zu sagen, wann und wo das gewesen war.
    „Wollen Sie nichts essen, Sir?“
    Leroy Chester nickte, bestrich sich eine Scheibe Toast mit Butter und Marmelade und sagte: „Wann ist das mit Chester passiert?“
    „Vor drei Tagen, das wissen Sie doch…“
    „Woher sollte ich es wissen?“
    Nottenham grinste. Er war offenbar davon überzeugt, einen Polizisten vor sich zu haben, der sich vergebens um Tarnung bemühte. „Schon gut, Mr. Carrington, ich weiß Bescheid. Ja, der arme Chester! Ich gebe zu, daß ich ihn nicht sonderlich mochte. Für mich war er ein Eierkopf, ein Intellektueller, aber er muß schon was auf dem Kasten gehabt haben, sonst hätte er nicht diese Puppe an Land ziehen können, diese Daphne. Mann, die ist Klasse, so etwas hat’s in dieser Gegend noch nicht gegeben, und es sollte mich nicht wundern, wenn die Leute mit ihrem Gefasel recht haben…“
    „Was reden sie denn?“
    „Ich werde mich hüten, das zu sagen.“
    „Spucken Sie’s schon aus“, drängte Leroy Chester. „Davon geht die Welt nicht unter.“
    Gus Nottenham setzte sich zu Leroy an den Tisch und beugte sich über dessen Platte hinweg. „Nageln Sie mich aber nicht darauf fest“, beschwor er seinen Gast mit zischender Stimme. „Ich wiederhole nur, was die Leute sagen.“
    „Schon gut, schon gut“, nickte Leroy Chester.
    „Sie behaupten“, sagte Gus Nottenham und setzte sich steil auf wie ein Schauspieler, der seinen großen Einsatz bekommt, „daß Daphne Chester ihren Mann getötet hat.“
    „Ach“, sagte Leroy.
    Er war so verdutzt, daß ihm nur dieser inhaltslose Ausruf einfiel, aber zum Glück schien Nottenham nichts anderes erwartet zu haben.
    Chester legte den angebissenen Toast aus der Hand. Er konnte jetzt wirklich nichts essen.
    „Ja – weil sie ihn beerben und ihren Geliebten heiraten will – sagen die Leute“, meinte Nottenham, dessen kleine Augen tückisch blinzelten. Es war zu spüren, wie sehr er es genoß, diesen üblen Klatsch zu verbreiten.
    „Ich muß mich rasieren“, sagte Leroy, erhob sich abrupt, steckte den Paß ein und verließ den Raum. Er ging nach oben, holte den Rasierapparat aus der Reisetasche, trat damit vor den Spiegel und schaute sein glattes Kinn an. Dennoch führte er den Stecker in die Dose und stellte verwundert fest, wie das Scherblatt eindeutig Stoppeln abnahm. Das ging jedenfalls aus den Geräuschen hervor, die der Apparat verursachte.
    Leroy Chester fühlte mit der Hand nach. Kein Zweifel, die Stoppeln, die er vorhin gespürt hatte, waren weg.
    „Du siehst im Spiegel ein anderes Gesicht als das, was du tatsächlich hast“, sagte er laut und versuchte, sich dieses Phänomen zu erklären. Vergeblich.
     

     
    Er verließ das Hotel, um zu testen, wie die Leute auf sein Erscheinungsbild reagierten.
    Eine Frau kam ihm entgegen, eine etwa fünfzigjährige Blondine auf hohen Stöckelabsätzen. Er kannte sie. Sie war die Frau des Sparkassendirektors – wenn man bei der winzigen Zweigstelle und ihrem Leiter, der nur eine Angestellte beschäftigte, überhaupt von einem Direktor sprechen konnte. Mrs. Griffith war der Typ der leicht dümmlichen, etwas geltungssüchtigen Frau, die mangelnde Bildung mit Arroganz wettzumachen versuchte.
    Sie blickte ihn an, ganz kurz nur, dann ging sie schweigend und hoch erhobenen Hauptes an ihm vorbei. Die gleiche Reaktion ließ sich auch bei den nächsten Passanten feststellen, allesamt Leute, mit denen er schon gesprochen hatte.
    Sie erkannten ihn nicht.
    Er blieb vor der Auslage des Drogisten stehen, der auch Fotoartikel verkaufte und unter anderem eine Sofortbildkamera von Polaroid anpries. Leroy Chester blickte durch die Schaufensterscheibe und sah, daß sich nur der Ladenbesitzer, Mr. Conally, hinter dem Tresen befand, Chester betrat den Laden und erklärte, daß er sich für diese spezielle Kamera interessiere, aber nur dann zum Kauf bereit sei, wenn er prüfen könne, wie leistungsfähig der Apparat sei.
    Der rundliche Mr. Conally sagte strahlend: „Kein Problem, Sir! Wir legen gleich den Filmpack ein, machen ein Foto von
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