Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0911 - Nachtgestalten

0911 - Nachtgestalten

Titel: 0911 - Nachtgestalten
Autoren: Simon Borner
Vom Netzwerk:
anrufen , dachte sie. Das muss gemeldet werden.
    Die junge Studentin wollte sich gerade umdrehen und zum Telefon gehen, als sie etwas von hinten packte. Grob wurde Marie gegen die Tür gepresst und war im ersten Moment zu überrascht, um sich zu wehren oder überhaupt zu reagieren. Einzig ein Schrei entrang sich ihrer Kehle. Und im nächsten Moment legte sich eine ledrige, unmenschlich große Hand auf ihren Mund.
    »Guten Abend«, zischte eine Stimme. Marie spürte heißen, schwefligen Atem an ihrem Ohr und einen breiten, starken Körper in ihrem Rücken. »Kennst du mich noch?«
    Ohne zu wissen, warum, sah Marie plötzlich das Bild der dunklen Gasse vor Augen, in der sie die zwei Amerikaner überfallen hatten. Und sie erinnerte sich an den riesigen Schatten, der nun gekommen war, um auch sie zu holen.
    Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie langsam nickte.
    »Gut«, zischte der Unbekannte. »Dann hoffe ich, du bist bereit.«
    Marie spürte ein Feuer in ihrem Nacken auflodern. Dann wurde die Welt schwarz.
    ***
    Hölle
    »Schlimmer kann's ja wohl nicht mehr kommen«, echauffierte sich Rachban und schlug mit der Faust auf das Knochenpult des niederen Dämonenwesens, welches ihm den Weg versperrte. »Seit wann besteht denn hier eine so dämliche Einlasskontrolle?«
    Der Dämon zuckte nicht einmal mit der Wimper. »Die Ministerpräsidentin ist zur Zeit sehr beschäftigt und bittet ihre Besucher höflichst, ein anderes Mal wiederzukommen«, sagte er lässig und widmete sich wieder seinem Klemmbrett, auf dem er sich hastig etwas notierte.
    Rachban kochte innerlich. Nicht nur, dass man ihn - ihn! - auf einmal nicht mehr zu Stygia vorlassen wollte, regte ihn mehr auf, als er sich selbst gegenüber zugegeben hätte. Nein, auch die arrogante, besserwisserische Art, auf die dies geschah, ließ in ihm Zorn aufwallen. »Und das soll ich dir jetzt einfach glauben, oder was?«, fragte er zynisch und ließ seinen Blick ein weiteres Mal über den großen Dämon schweifen, der Stygias Thronsaal bewachte.
    »Genau so sieht's aus.« Es war ein beachtliches Exemplar seiner Gattung. Der gesamte Leib des gut zwei Meter hohen Wesens bestand aus etwas, das Rachban wie geschmolzene und allmählich wieder erkaltende Lava vorkam. Statt einer Haut besaß es eine Art krustige Hülle, die tiefschwarz gehalten war und durch die sich, einem Geäst aus Adern gleich, viele winzige und rot glühende… Bäche zogen. Neben einer Hitze, die dem Irrwisch den Schweiß auf die Stirn trieb, ging auch ein unangenehm penetranter Schwefelgeruch von dem Türsteher aus - beides war hier in der Hölle zwar keine Seltenheit, wirkte in dieser Präsentationsform aber nahezu unerträglich.
    Rachban versuchte, durch den Mund zu atmen und gleichzeitig autoritär zu wirken, als er sagte: »Jetzt hör mal zu, mein Freund. Du last ganz offensichtlich nicht die leiseste Ahnung, wen du hier vor dir hast. Mein Name ist…«
    »Rachban, Irrwisch, ehemals Vertrauter der Ministerpräsidentin. Kürzlich aus ihren Diensten entlassen worden, da von ihrer Seite kein Interesse mehr an dem gemeinsam betreuten Projekt besteht.« Die sonst so grollende Stimme des Dämons klang geradewegs gelangweilt, während er sämtliche Meriten und Verdienste des Irrwischs mit einer nonchalanten Selbstverständlichkeit herunterbetete, als würde er sie drei Mal am Tag aufsagen und könnte sie noch im Schlaf. Ja, er sah Rachban dabei nicht einmal an, sondern hielt die Augen streng auf das Klemmbrett gerichtet, auf das er immer noch eifrig kritzelte. »Wie gesagt: Die Ministerpräsidentin bittet dich höflichst, ein andermal wiederzukommen.«
    »Aber…« Für einen kurzen Moment war der Irrwisch sprachlos. Dann atmete er tief ein und bediente sich des letzten, ihm zur Verfügung stehenden Mittels: Er wurde noch lauter. »Aber! Das! Geht! Nicht!«, rief er und betonte jede Silbe. »Ich komme geradewegs aus der Menschendimension und bringe eine Nachricht von immenser Wichtigkeit, die Stygia dringend hören muss.« Erst als der Satz raus war, merkte Rachban, was er da eigentlich gesagt hatte.
    Der Dämon stutzte und ließ für einen kurzen Moment das Klemmbrett Klemmbrett sein. Wabernde Augen aus gleißendem Licht richteten sich auf den Irrwisch, fordernd und streng. »Aus der Menschendimension? Du?«
    Rachban hob abwehrend die Hände und wollte zu einer Erwiderung ansetzen, doch der Dämon ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. »Du reist also einfach mal so in die Menschendimension? Oder gehe ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher