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0910 - Der Totflüsterer

0910 - Der Totflüsterer

Titel: 0910 - Der Totflüsterer
Autoren: Oliver Fröhlich
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nicht auszumachen, denn sie lächelte Aurelie unverwandt an und nickte ihr aufmunternd zu.
    »Ich melde Sie mal an! Klitzekleines Momentchen bitte!«
    Aurelie zwang ein Lächeln in ihr Gesicht. »Danke.«
    Die Sekretärin drückte auf einen Knopf der Gegensprechanlage. »Monsieur Luynes?«
    Es dauerte ein paar Sekunden, dann quoll unter statischem Krächzen und Knacken ein einziges Wort aus dem Lautsprecher. »Was!«
    »Aurelie Gaillard wäre jetzt hier.«
    Krächzen und Knacken. »Aha. Und wer soll das sein?«
    Die Eule lächelte Aurelie entschuldigend an. »Die Leiterin der Einkaufsabteilung. Sie wollten mit ihr sprechen, Monsieur Luynes.«
    »Natürlich wollte ich das!« Krächz. »Glauben Sie ich hätte das vergessen? Ich war gedanklich nur gerade bei etwas Wichtigerem.«
    »Darf ich sie reinschicken?«
    »Was dachten Sie denn? Dass ich mich mit ihr durch die Tür unterhalte?«
    Aurelie betrat Luynes' Büro und ging drei Schritte hinein. Hinter sich hörte sie, wie die Eule die Tür wieder zuzog. Sie blieb stehen und wartete.
    Roger Luynes saß hinter seinem Schreibtisch und studierte einige Unterlagen. Ab und zu murmelte er ein paar Worte und kreuzte mit einem Bleistift etwas an. Aurelie glaubte zu erkennen, dass es sich um einen Katalog für Angelausrüstung handelte.
    Es verging eine gute Minute, ehe Luynes endlich den Stift beiseite legte und Aurelie aus wässrig blauen Augen musterte.
    »Ah! Madame… äh… Gainard!«
    »Gaillard«, korrigierte Aurelie.
    »Treten Sie doch näher, Madame Gainard. Wie ich Ihren Personalakten entnommen habe, sind Sie bereits seit beinahe dreißig Jahren im Betrieb.«
    Aurelie nickte. Sie ging drei weitere Schritte auf den Schreibtisch zu. Da sah sie es! Aus Luynes' Nasenlöchern rann Blut und tropfte auf die Schreibtischplatte. Und seine Zähne! Was war mit seinen Zähnen? Sie waren gebogene, angespitzte Dornen! Hatten sie nicht gerade noch völlig normal ausgesehen?
    »Nach dieser langen Zeit, Madame… äh… Gainard, halte ich es für angemessen…«
    »Sie sind einer von ihnen !« Aurelies Stimme war nicht mehr als ein zarter Hauch.
    »Was? Ich verstehe nicht ganz. Eigentlich wollte ich sie…«
    »Sie sind einer von ihnen ! Ich hätte es wissen müssen!«
    Mit einem trockenen Ploppen platzten Luynes' Augäpfel aus den Höhlen. Aus seinem Oberkörper schossen lange Stacheln, zerfetzten sein Hemd und seine Anzugsjacke. Sie sonderten ein stinkendes Sekret ab.
    Luynes lachte. »Schade. Eigentlich hatte ich Ihnen eine Gehaltserhöhung anbieten wollen. Aber jetzt, wo Sie mein Geheimnis entdeckt haben, werde ich Sie wohl fressen müssen!«
    Aurelie stieß einen gellenden Schrei aus. Sie drehte sich um und rannte zur Bürotür.
    Sie werden mich nicht bekommen! Sie werden mich nicht bekommen!
    Die Tür flog auf und eine kehlige Stimme erklang.
    »Was ist denn hier los?«
    Im Türrahmen stand die Eule, aber diesmal war es nicht nur ein gehässiger Spitzname, sondern bittere Wirklichkeit. Auf einem nur noch entfernt menschenähnlichen Körper saß ein massiger Eulenkopf mit zerrupften, blutigen Federn. Aus dem Schnabel der Kreatur hing etwas, das Aurelie gerne für einen dicken Wurm gehalten hätte, aber wohl eher Menschengedärm war.
    »Ihr werdet mich nicht kriegen! Ihr nicht!«, kreischte Aurelie. Sie stieß die Eule zur Seite, wich im letzten Augenblick einem Schnabelhieb aus und hastete hinaus.
    Der blonde Lächler versuchte sie aufzuhalten. Sein Körper war vollständig von Haaren bedeckt, die sich schlängelten und kräuselten, als hätten sie ein eigenes Leben. Das Lächeln war verschwunden, stattdessen zierte ein gemeines Grinsen seine wölfische Visage.
    Hab ich es doch geahnt! Aber auch du wirst mich nicht kriegen!
    Mit Wucht trat sie ihm zwischen die Beine. Auch wenn er jetzt sein dämonisches Äußeres zeigte, war er gegen diesen Angriff nicht gefeit. Ein gequältes Keuchen entrang sich seiner widerlichen Schnauze, dann sank er zu Boden.
    Es war ein wahrer Spießrutenlauf, den Aurelie zurücklegen musste, denn alle, wirklich alle in dieser Firma gehörten zu ihnen . Sie musste raus hier! Keinesfalls wollte sie den gläsernen Aufzug nehmen. Also hetzte sie zum Treppenhaus, wich den Klauen halbverwester Untoter aus, unterlief die Schläge eines schleimigen Tentakelwesens und boxte eine aufrecht gehende Ratte zur Seite.
    Im Treppenhaus nahm sie immer drei, vier Stufen auf einmal. Der Absatz ihres rechten Schuhs brach ab und brachte sie ins Straucheln. Im letzten Augenblick
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