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0903 - Der Schattenkelch

0903 - Der Schattenkelch

Titel: 0903 - Der Schattenkelch
Autoren: Oliver Fröhlich
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konnte er aber nicht hinschauen, denn das ständige Verschieben und Tanzen der Zeichen verursachte ihm Übelkeit. Obwohl die Symbole völlig anders aussahen als die auf Merlins Stern , erinnerten sie ihn trotzdem ein wenig daran. Denn auch sie konnte er verschieben und damit verschiedene Funktionen des Amuletts auslösen. Hatten die Zeichen auf dem Kelch eine ähnliche Wirkung?
    »Darf ich ihn anfassen?«, fragte Zamorra. »Ich will keine Spuren verwischen!«
    Bassot hielt ihm ein Paar der Handschuhe entgegen, wie er sie selbst trug. »Ziehen Sie vorher die hier an.«
    Zamorra schlüpfte hinein und streckte die Finger nach dem schwarzen Metall aus. Bestand dieses Ding überhaupt aus Metall? Nur vom Aussehen her konnte man das nicht genau sagen. Genauso gut könnte es…
    Kaum hatte Zamorra den Kelch berührt, jagte ein stechender Schmerz durch seinen Arm. So als hätte ihn eine Schlange gebissen. Oder der Kelch!
    Ein Schlag, der sich wie der Tritt eines Maultiers anfühlte, traf seinen Brustkorb und er wurde zurückgeschleudert. Nur am Rande bekam er mit, wie Robins Unterkiefer vor Erstaunen herabsackte und die Pfeife zu Boden purzelte. Als Zamorra auf dem weichen Teppich aufschlug, wurde ihm klar, dass kein Maultier für seinen Flug durch das halbe Arbeitszimmer verantwortlich war, sondern sein Amulett! Für einen Moment hatte es sich erwärmt, den Professor durch die Gegend katapultiert und war anschließend sofort wieder abgekühlt.
    »Autsch!«, sagte Zamorra und wollte aufstehen. Was war passiert? Ein magischer Angriff auf ihn? Aber dann hätte das Amulett einen silbriggrün schimmernden Schutzschirm um ihn gelegt.
    In diesem Augenblick geschahen mehrere Dinge gleichzeitig: Die Zeichen auf dem Kelch beendeten ihren Tanz und wurden schlagartig so schwarz wie der Rest des Materials - und aus dem Kelch entwich eine kleine dunkle Wolke, die geradewegs auf Zamorra zujagte!
    ***
    Vor Hunderten von Jahren
    Agamar stolzierte durch die qualmenden Ruinen der Siedlung und ergötzte sich am Anblick der Leichen, die auf den Straßen lagen. Noch immer klangen ihm die Schreie der Opfer in den Ohren. Den Toten stand das Entsetzen, das sie in ihren letzten Sekunden empfunden hatten, ins Gesicht geschrieben.
    »Lauft davon!«, hatten manche von ihnen geschrien. »Der Teufel kommt über uns!«
    Agamar stieß ein heiseres, boshaftes Lachen aus.
    So wenige Worte - und doch voller Irrtümer! Niemandem gelang es davonzulaufen! Niemandem! Und natürlich war er nicht der Teufel. Mit seinen Hörnern, dem muskulösen, ledrigen Oberkörper und den großen Schwingen ähnelte er eher Lucifuge Rofocale, dem Ministerpräsidenten der Hölle, als Asmodis. Doch was wussten schon diese dummen Menschen? Nein, er war nicht der Teufel. Er war nur ein unbedeutender Dämon aus den Tiefen der Schwefelklüfte. Doch nicht mehr lange! Denn schon bald würde er nicht nur wie Lucifuge Rofocale aussehen, schon bald würde er auch wie Lucifuge Rofocale sein! Vorher galt es nur noch einige Hindernisse aus dem Weg zu räumen.
    Er sammelte seine treuen Gefährten, die Schattenhunde, um sich und kehrte zum Zentrum der Siedlung zurück. Dort stand ein anderer Dämon mit ausgebreiteten Armen und in den Nacken gelegtem Kopf. Die Augen in dem zerfurchten, von dunkelrot pulsierenden Adern durchzogenen Gesicht waren geschlossen.
    »Myalon!«, sprach Agamar den Dämon an. »Habe ich dir zu viel versprochen?«
    Myalon ernährte sich von Angst und Entsetzen der Menschen. Sein Problem war nur, dass seine dämonische Ausstrahlung für Menschen so schrecklich war, dass sie häufig starben, bevor sie noch viel Angst oder Entsetzen verspüren konnten. In der Höllenhierarchie stand Myalon einige Ränge über Agamar, dennoch hatte der ihn mit der Aussicht auf ein Festmahl zum Überfall auf die Siedlung überreden können. Agamar und seine Schattenhunde wollten für das Grauen sorgen, das Myalon dann in sich aufsaugen konnte.
    »Nein! Es war ein Hochgenuss. Ich danke dir, mein Freund.«
    »Lass uns auf eine erfolgreiche Partnerschaft anstoßen«, sagte Agamar. Wie aus dem Nichts erschienen zwei Kelche in seinen Klauen, tief schwarz und übersät von rötlich schimmernden Schriftzeichen und Symbolen, die sich ständig veränderten. Er hielt Myalon einen der Becher entgegen.
    »Ich nenne dich Freund«, sagte der Angstdämon, »und du nennst mich Partner. Dennoch traue ich dir nicht! Gib mir den anderen Kelch!«
    Agamar lachte und tat, wie ihm geheißen war. »Es ist deine Umsicht,
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