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09 - Denn sie betrügt man nicht

09 - Denn sie betrügt man nicht

Titel: 09 - Denn sie betrügt man nicht
Autoren: Elizabeth George
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vorsichtig und mißtrauisch, als er die dargebotene Packung nahm und eine Zigarette herausschüttelte. Während er sie anzündete, zog Barbara mit nacktem Fuß den zweiten Stuhl am Tisch heraus. Er setzte sich nicht.
    »Schwierigkeiten?« fragte sie.
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Ein Anruf, eine plötzliche Reise. In meinem Geschäft bedeutet das immer nur eins: unerfreuliche Nachrichten.«
    »In Ihrem Geschäft«, sagte Azhar mit Betonung.
    »Und in Ihrem?«
    Er führte die Zigarette zum Mund. »Eine kleine Familienangelegenheit.«
    »Familie?« Er hatte nie etwas von einer Familie erzählt. Er sprach allerdings auch nie über persönliche Dinge. Er war der zugeknöpfteste Mensch, den Barbara außerhalb von Verbrecherkreisen kannte. »Ich wußte gar nicht, daß Sie hier im Land Familie haben, Azhar.«
    »Ich habe eine ansehnliche Familie in diesem Land«, sagte er.
    »Aber zu Hadiyyahs Geburtstag ist niemand -«
    »Hadiyyah und ich verkehren nicht mit meiner Familie.«
    »Ach so. Ich verstehe.« Aber sie verstand gar nichts. Er reiste Hals über Kopf in einer kleinen Familienangelegenheit, die eine ansehnliche Familie betraf, mit der er nicht verkehrte, ans Meer?
    »Und wissen Sie schon, wie lange Sie wegbleiben werden? Kann ich in der Zwischenzeit hier was für Sie tun? Die Blumen gießen? Mich um die Post kümmern?«
    Er schien über diese Frage viel länger nachzudenken, als das unbekümmerte Angebot erforderte. Schließlich sagte er: »Nein, danke, das ist nicht nötig. Es hat nur einen kleinen Aufruhr unter meinen Verwandten gegeben, und ein Vetter hat mich angerufen, um mir seine Besorgnis mitzuteilen. Ich fahre hin, um ihnen meine Unterstützung und meine Sachkenntnis in diesen Dingen anzubieten. Es wird sich höchstens um ein paar Tage handeln. Die -« Er lächelte. Er besaß ein ausgesprochen attraktives Lächeln, wenn er es einmal zeigte, blitzweiße Zähne unter nußbrauner Haut. »Die Pflanzen und die Post können warten.«
    »In welche Gegend fahren Sie denn?«
    »Nach Osten.«
    »Essex?« Als er nickte, fügte sie hinzu: »Seien Sie froh, da entkommen Sie wenigstens der Hitze hier. Am liebsten würde ich gleich nachkommen und meinen Hintern die nächsten acht Tage in die Nordsee hängen.«
    Seine einzige Reaktion bestand in den Worten: »Ich fürchte, Hadiyyah und ich werden auf dieser Reise wenig vom Meer zu sehen bekommen.«
    »Oh, da wird sie aber enttäuscht sein.«
    »Sie muß lernen, mit Enttäuschungen fertig zu werden, Barbara.«
    »Finden Sie nicht, daß sie noch ein bißchen jung ist, um schon jetzt die bitteren Lektionen des Lebens zu lernen?«
    Azhar trat etwas näher an den Tisch und legte seine Zigarette in den Aschenbecher. Er hatte ein kurzärmeliges Baumwollhemd an, und als er sich neben ihr über den Tisch beugte, fing sie den frischen, sauberen Geruch seiner Kleidung auf und sah die feinen schwarzen Härchen auf seinem Arm. Er war zartgliedrig wie seine Tochter. Doch seine Hautfarbe war dunkler. »Leider können wir uns das Alter nicht aussuchen, in dem wir anfangen wollen, uns mit den Entsagungen auseinanderzusetzen, die das Leben uns abverlangt.«
    »Hat das Leben Ihnen so übel mitgespielt?«
    »Danke für die Zigarette«, sagte er.
    Und weg war er, ehe sie einen zweiten Hieb anbringen konnte. Als er fort war, fragte sie sich, wieso sie überhaupt das Bedürfnis gehabt hatte zu sticheln. Sie sagte sich, es sei ihr um Hadiyyah gegangen: Jemand mußte die Interessen des Kindes wahrnehmen. In Wahrheit aber wirkte Azhars unerschütterliche Verschlossenheit wie eine ständige Herausforderung auf sie, ein Dorn, der ihre Wißbegier anstachelte. Verdammt noch mal, wer war der Mann? Was hatte es mit seinem tiefen Ernst auf sich? Und wie schaffte er es, sich die Welt vom Leib zu halten?
    Sie seufzte. Die Antworten auf ihre Fragen würde sie bestimmt nicht finden, indem sie hier mit einer Zigarette zwischen den Lippen wie ein Faultier am Tisch herumhing. Ach, vergiß es, dachte sie. Es war viel zu heiß, um sich Gedanken zu machen und nach plausiblen Erklärungen für das Verhalten der Mitmenschen zu suchen. Zum Teufel mit den Mitmenschen. Zum Teufel mit der ganzen blöden Welt, bei dieser Affenhitze. Sie griff nach dem kleinen Stapel Briefe auf dem Tisch.
    Auf der Suche nach Liebe? grinste es ihr höhnisch entgegen. Die Frage war von einem Herz umrahmt. Barbara schob ihren Zeigefinger unter die Klappe des Kuverts und zog ein einzelnes Blatt heraus, einen Fragebogen. »Haben Sie genug vom
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