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09 - Denn sie betrügt man nicht

09 - Denn sie betrügt man nicht

Titel: 09 - Denn sie betrügt man nicht
Autoren: Elizabeth George
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gesagt?«
    »Ja.«
    »Wie ich dich angerufen habe, hab' ich das noch nicht gewußt, weißt du. Aber dann hat Dad einen Anruf bekommen, und er sagte: ›Was? Wie? Wann ist das denn passiert?‹, und danach hat er zu mir gesagt, daß wir ans Meer fahren. Stell dir nur mal vor, Barbara!« Sie drückte beide Hände auf ihre magere kleine Brust. »Ich war noch nie am Meer. Du?«
    Am Meer? dachte Barbara. Aber ja doch. Muffelnde Strandhäuser und Sonnencreme. Feuchte Badeanzüge, die zwischen den Beinen kratzen. Sie hatte jeden Sommer ihrer Kindheit am Meer verbracht und sich jedesmal bemüht, braun zu werden, hatte sich jedoch immer nur einen Sonnenbrand und Sommersprossen geholt.
    »In letzter Zeit nicht«, sagte Barbara.
    Hadiyyah machte einen kleinen Luftsprung. »Komm doch mit! Ich meine, mit mir und Dad. Ach ja, komm doch. Das wäre so lustig.«
    »Ich glaube nicht -« »Doch, doch, es wäre bestimmt lustig. Wir könnten Sandburgen bauen und im Meer schwimmen. Und Fangen spielen. Wir könnten den ganzen Strand entlanglaufen.
    Wenn wir einen Drachen mitnehmen, könnten wir sogar -«
    »Hadiyyah. Hast du gesagt, was du sagen wolltest?«
    Hadiyyah verstummte augenblicklich und drehte sich nach der Stimme an der Tür um. Dort stand ihr Vater mit ernster Miene.
    »Du hast gesagt, es würde nur eine Minute dauern«, bemerkte er. »Und wenn man einen kurzen Besuch bei einer Freundin zu lang ausdehnt, wird er zur Störung.«
    »Sie stört mich nicht«, versicherte Barbara.
    Taymullah Azhar schien sie erst jetzt wirklich wahrzunehmen. Seine schmalen Schultern strafften sich mit einem kleinen Ruck, das einzige Zeichen seiner Überraschung. »Barbara, was ist Ihnen denn passiert?« fragte er. »Hatten Sie einen Unfall?«
    »Barbara hat sich die Nase gebrochen«, erklärte Hadiyyah und trat an die Seite ihres Vaters. Er legte den Arm um sie und umfaßte ihre Schulter. »Und außerdem drei Rippen. Sie hat Pflaster von oben bis unten, Dad. Ich hab' gesagt, sie soll doch mit uns ans Meer kommen. Das täte ihr bestimmt gut. Findest du nicht auch?«
    Azhars Gesicht verschloß sich augenblicklich bei diesem Vorschlag, und Barbara sagte rasch: »Es ist sehr lieb von dir, mich einzuladen, Hadiyyah, aber die Zeiten, wo ich ans Meer gefahren bin, sind endgültig vorbei.« Sie wandte sich dem Vater des kleinen Mädchens zu. »Das kam wohl ganz überraschend?«
    »Er hat einen Anruf bekommen«, begann Hadiyyah.
    Azhar schnitt ihr das Wort ab. »Hadiyyah, hast du dich von deiner Freundin verabschiedet?«
    »Ich hab' ihr erklärt, daß ich keine Ahnung hatte, daß wir wegfahren, bis du gekommen bist und gesagt hast -«
    Barbara sah, wie sich Azhars Hand an der Schulter seiner Tochter verkrampfte. »Du hast deinen Koffer offen auf dem Bett liegengelassen«, sagte er. »Lauf und bring ihn in den Wagen.«
    Hadiyyah senkte gehorsam den Kopf. »Tschüs, Barbara«, sagte sie und sprang zur Tür hinaus. Ihr Vater nickte Barbara zu und machte Anstalten, ihr zu folgen.
    »Azhar«, sagte Barbara. Als er stehenblieb und sich zu ihr umdrehte, fragte sie: »Rauchen Sie noch eine, bevor Sie fahren?« Sie bot ihm die Packung an, und ihre Blicke trafen sich. »Zur Stärkung.«
    Sie sah, wie er überlegte. Sie hätte nicht versucht, ihn zurückzuhalten, hätte er nicht so darum bemüht gewirkt, seine Tochter daran zu hindern, über die bevorstehende Reise zu plaudern. Das jedoch hatte Barbaras Neugier geweckt.
    Als er nicht antwortete, fand sie, ein kleiner Anstoß könne nicht schaden. »Haben Sie was aus Kanada gehört?« fragte sie herausfordernd und haßte sich sofort dafür, diese Frage gestellt zu haben. Seit Barbara das Kind und seinen Vater kannte, acht Wochen insgesamt, hielt Hadiyyahs Mutter sich zum Urlaub in Ontario auf. Und täglich durchsuchte Hadiyyah die Post nach Karten oder Briefen - oder einem Geburtstagsgeschenk -, die niemals kamen. »Entschuldigen Sie«, sagte Barbara. »Das war gemein von mir.«
    Azhars Gesicht war, wie es immer war: das unergründlichste Gesicht, das Barbara kannte. Und er sah nicht die geringste Veranlassung, das nun entstehende Schweigen zu brechen. Barbara ertrug es, solange sie konnte, aber dann sagte sie doch: »Azhar, ich habe mich entschuldigt. Ich bin ins Fettnäpfchen getreten. Ich trete dauernd in irgendein Fettnäpfchen. Das ist mein größtes Talent. Kommen Sie, nehmen Sie eine Zigarette. Das Meer ist auch noch da, wenn Sie fünf Minuten später abfahren.«
    Azhar gab nach, jedoch zögernd. Er wirkte
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