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0875 - Die Rückkehr des Jägers

0875 - Die Rückkehr des Jägers

Titel: 0875 - Die Rückkehr des Jägers
Autoren: Andreas Balzer
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ihn die Gesetze der Menschen? Doch Gautard hatte gehofft, dass er bei der Befriedigung seiner Bedürfnisse wenigstens etwas vorsichtiger sein würde. Der kleinste Fehler konnte das große Ziel gefährden, dem Paul Gautard sein ganzes Leben gewidmet hatte.
    Der Wagen fuhr an und suchte sich seinen Weg aus dem zu dieser Zeit fast menschenleeren Industriegebiet im Norden von Paris. Mit versteinerter Miene blickte Gautard auf die gesichtslosen Hallen und Baracken, an denen sie vorbeirauschten. Wer ahnte schon, welche düsteren Geheimnisse sich hinter den schmucklosen Fassaden verbargen. Paul Gautard wusste nur zu gut, dass dem Schein nicht zu trauen war. Seit damals, als…
    Bist du mir böse, Paul?
    Gautard hörte echte Besorgnis in der Stimme seines unsichtbaren Begleiters. Taraban mochte ein Wesen der Finsternis sein, aber im Umgang mit seinem irdischen Bruder zeigte er fast menschliche Züge.
    Böse? Nein, nur etwas besorgt. Wir dürfen kein Aufsehen erregen. Der Plan…
    Er wird nicht scheitern.
    Ich hoffe, du hast recht.
    Ich verspreche es dir. Stygia wird sterben!
    ***
    Irgendwann Mitte der sechziger Jahre
    Paul hasste die gemeinsamen Abendessen. Sein Vater Philippe Gautard war nicht nur als Pfarrer ein äußerst sittenstrenger Mann, er führte auch seine eigene Familie nach den Prinzipien absoluten Gehorsams. Und so herrschte bei den gemeinsamen Mahlzeiten stets gedrückte Stille. Während Thérèse Gautard darauf achtete, dass alle die Tischsitten einhielten, niemand den Ellbogen auf den Tisch legte, schmatzte oder Kartoffeln mit dem Messer zerteilte, saß das Familienoberhaupt am Kopf der Tafel und ahndete jeden Fehltritt mit strengen Strafen.
    Als Hirte einer protestantischen Gemeinde in einer urkatholischen Umgebung hatte Philippe Gautard ein schweres Erbe angetreten. Es hatte lange gedauert, bis ihn auch die Nichtprotestanten des kleinen Dorfes in der Auvergne als einen der ihren akzeptierten. Und es gab immer noch viele, die hinter vorgehaltener Hand tuschelten, wenn sie dem stets von einer Aura unerbittlicher Moralität umgebenen Gottesmann auf der Straße begegneten.
    Doch heute wirkte der Geistliche besonders erschöpft. Er schien kaum wahrzunehmen, wie seine Frau ihm ein Stück Fleisch auf den Teller legte. Die größte Portion natürlich, denn, so lautete ihr Standardspruch: »Wer arbeitet, soll auch essen.«
    Schon als der Pfarrer vor etwa einer Stunde von einem Hausbesuch zurückgekehrt war, hatte der elfjährige Junge gehört, wie seine Eltern aufgeregt miteinander sprachen. »Es ist vollbracht!«, hatte Philippe Gautard gesagt. Und dann noch einmal mit einer Mischung aus Erleichterung und Entsetzen wiederholt: »Es ist vollbracht!«
    Doch was? Paul wusste nur, dass sein Vater beim alten Jacques gewesen war, einem komischen Kauz, den alle ihm Dorf mieden. Einige behaupteten sogar, dass er mit dem Teufel im Bunde stünde. Doch Paul glaubte nicht an dieses abergläubische Zeug. Je mehr sein Vater in den schillerndsten Farben die schlimmsten Höllenqualen heraufbeschwor, die im Jenseits auf die Gestrauchelten warteten, wenn er ihn wieder mal ermahnen wollte, sein Zimmer aufzuräumen oder die Hausaufgaben zu machen, desto weniger konnte der Junge diese Geschichten ernst nehmen.
    Doch jetzt sah sein Vater aus, als wäre er dem Teufel persönlich begegnet. Sogar beim Sprechen des Tischgebets wirkte er seltsam abwesend. Niemand wagte, ein Wort zu sprechen, selbst Jules nicht, Pauls älterer Bruder, der seit einiger Zeit jede Gelegenheit nutzte, um den Vater mit kecken Sprüchen zur Weißglut zu treiben.
    Mit gesenktem Blick kaute Paul auf seinem Rinderbraten herum. Er schmeckte wie immer fade. Zu stark gewürzte Speisen weckten nur die Sinnlichkeit und verführten zu sündigen Taten, glaubte Philippe Gautard, sodass seine Frau selbst Salz und Pfeffer nur äußerst zurückhaltend verwendete.
    Ohne großen Appetit zerteilte Paul das restliche Stück Fleisch mit dem Messer, als plötzlich ein heftiger Wind durch das karge Esszimmer pfiff. Paul sah, wie sein Vater leichenblass wurde, und dann glaubte er, seinen Augen nicht trauen zu können: Vor der Tür zur Diele entstand aus dem Nichts ein Luftwirbel, es stank nach Schwefel - und eine nackte Frau stand mitten im Raum.
    Sie war die schönste Frau, die Paul je gesehen hatte. Rote, gelockte Haare wallten über ihre Schultern und ihre üppig geformten Brüste. Das einzige Kleidungsstück war ein äußerst knapp geschnittener Slip, der mehr zeigte, als er
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