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0866 - Die Herrin der Raben

0866 - Die Herrin der Raben

Titel: 0866 - Die Herrin der Raben
Autoren: Christian Schwarz
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Und das war in gewisser Weise auch der Fall gewesen.
    »Schlüpf hinein, mein treuer Franz-Josef. Jetzt hängt es an dir.«
    Der Rabe zwängte sich durch das Gitter. Auf dem Knochenberg blieb er sitzen. Abwartend, unschlüssig. Der Wille seines Meisters zwang ihn, mit seinem Schnabel die Knochen wegzuräumen. Immer schneller packte er sie, zerrte sie zur Seite oder schleuderte sie, wenn sie klein genug waren. Er drückte Totenschädel beiseite und ließ sich auch durch das hässliche Klackern, wenn sie über die anderen Knochen rollten, nicht beirren. Nach einer halben Stunde war er zu Tode erschöpft, aber endlich dort, wo sein Meister ihn haben wollte.
    Es kam zum Kontakt. Franz-Josef, der unglückliche Rabe, verging in einer lautlosen, grellen Explosion. Wie hätte er auch ahnen können, dass ihn sein Meister als magische Bombe präpariert hatte?
    Die dunkelroten Kräfte, die Franz-Josefs Tod freisetzte, mischten sich mit plötzlich auftretenden hellblauen Energien. Der Eindringling trat unwillkürlich einige Schritte zurück. Wenn ihn die tobenden magischen Gewalten erfassten, war er erledigt.
    Er schrie seinen Triumph hinaus, als die dunkelroten Kräfte die hellblauen niederzuringen schienen…
    ***
    11. Dezember 1678, Hofburg Wien:
    Dicke, weiße Flocken fielen auf Wien. Die junge Frau, die auf einem prächtigen Lippizanerhengst durch das schwarzrote Schweizertor in die Hofburg einritt, wurde von einem Schwärm Raben umflattert. Einer der Vögel saß auf ihrer Schulter, blickte immer wieder aufmerksam um sich, machte aber keinerlei Anstalten, sich in die eiskalten Lüfte zu erheben. Das tat Burli im Übrigen nur, wenn seine Herrin es wollte. Im Moment schätzte Gräfin Theresia Maria von Waldstein aber eher seine Nähe.
    Obersthofmeister August von Dietrichstein, der im vertrauten Gespräch mit der Hofdame Anna Magdalena von Harrach über den weitläufigen Schweizerhof wandelte und dabei auf seinen schleifengeschmückten Stöckelschuhen nur wenig Halt in der dicken Schneedecke fand, blickte hoch, als er das Geräusch von Hufen im Schnee hörte.
    Er erkannte Theresia Maria sofort. Sein geschminktes Laffengesicht unter der blonden Lockenperücke verzog sich geringschätzig. Trotzdem schickte er ihr einen angedeuteten Gruß, bevor er den Kopf mit einem kurzen, indignierten Blick in den Himmel ab- und sich wieder seiner neuen Liebschaft zuwandte.
    Theresia Maria empfand nichts als Verachtung für den Obersthofmeister, der seine freie Zeit damit zubrachte, möglichst viele Eroberungen zu machen und der gar nicht erst den Versuch machte, seine unglaubliche Geilheit dezent zu verbergen.
    Wie es das Hofprotokoll verlangte, grüßte auch Theresia Maria zurück, obwohl sie ihn lieber über den Haufen geritten hätte. Sie selbst war ebenfalls schon Ziel Dietrichstein'scher Eroberungsversuche gewesen, hatte ihn aber mit einem Tritt dorthin, wo es die Mannsbilder am meisten schmerzt, klar und deutlich in seine Grenzen verwiesen. Das verzieh ihr der Lackaffe nicht. Seither hatte sie einen unversöhnlichen Feind mehr am Hofe des Kaisers Leopold.
    Maria Theresia lenkte ihren Hengst zu den Stallungen und ließ ihn dort von ihren Burschen versorgen. Dann ging sie zur sogenannten Amalienburg hinüber, die der geniale Baumeister Ferrabosco erst vor wenigen Jahren fertiggestellt hatte. Hier bewohnte sie, wie auch die anderen Hofdamen, standesgemäße Gemächer.
    Als sie durch die kleine Seitenpforte ins Haus trat, setzte sich der Rabenschwarm auf einen Baum, verharrte dort kurz und verschwand schließlich im dichter werdenden Schneegestöber. Nur Burli ging wie immer mit in die Gemächer.
    Dort setzte sich der Rabe auf den Fenstersims neben dem grünen Brokatvorhang und beobachtete aufmerksam, wie sich seine Herrin auszog. Sie rief ihre Bediensteten, zwei etwa sechzehnjährige Mädchen, und ließ sich von diesen baden, salben und kleiden. In einer Stunde stand eine Audienz bei der Kaiserin persönlich an. Aber nicht nur bei dieser. Auch die hochadeligen Frauenzimmer des Sternkreuzordens würden ihr kritisches Auge über sie schweifen lassen. Da war es sicher kein Nachteil, dem Protokoll entsprechend gekleidet zu sein und somit eventueller Kritik jeglichen Nährboden zu entziehen. Schließlich kam sie als Bittstellerin in die erlauchte Runde.
    Pünktlich um vier Uhr nachmittags trat Theresia Maria von Waldstein in das prunkvoll eingerichtete Nebenzimmer des niedergebrannten und wieder aufgebauten Leopoldinischen Trakts. Acht Damen
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