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0863 - Auf den Schwingen des Todes

0863 - Auf den Schwingen des Todes

Titel: 0863 - Auf den Schwingen des Todes
Autoren: Christian Schwarz
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Staten-Island-Fähre klang an sein Ohr. Father Rempel verengte unwillkürlich die Augen. Er sah sich eher als geistig veranlagten, feinsinnigen Charakter und verabscheute den von Menschenhand geschaffenen Neongott dort drüben, dem seiner Ansicht nach viel zu viele huldigten und dessen Auswüchse von großem Übel waren.
    Der Senior Pastor fingerte nach der Taschenlampe, die er mitgebracht hatte.
    Er kam nicht dazu, sie anzuknipsen. Dort, wo er heute Nachmittag unter großer Anteilnahme der Bevölkerung den ehrenwerten Solomon Winghart inmitten einer weiten, unberührten Rasenfläche beerdigt hatte, erhob sich nun ein mächtiges Bauwerk als tiefschwarze Silhouette.
    Rempels Augen weiteten sich. Panische Schübe jagten durch seinen Körper. Der Senior Pastor ächzte leise. Er glaubte, sein Herz müsse versagen, langsam zerdrückt von einer eisigen Faust, die es immer stärker umklammerte.
    Spielte ihm gerade seine Vorstellungskraft einen Streich? Hatte er sich dieses Mal zu tief in seine Fantasien gegen die Armeen des Widersachers verstrickt? Wohl kaum. Da hatte er sich nach ausgiebigem Rotweingenuss schon ganz anders hineingesteigert, ohne dass derartige Ergebnisse zustanden gekommen waren.
    Also musste er dieses Bauwerk wohl oder übel als Realität akzeptieren.
    Obwohl sich alles in ihm dagegen sträubte, klassifizierte er es gleichzeitig als Kirche. Ein gut zwanzig Meter hoher Turm ragte in den Himmel und schien den Mond darüber aufzuspießen. Auf dem Dachfirst des lang gezogenen Kirchenschiffs erkannte er die Umrisse sechs mächtiger, geflügelter Figuren in verschiedenen Positionen, die dort wie die Perlen aufgereiht saßen und die er sofort als eine Art Gargoyles identifizierte. Gargoyles, wie sie etwa an der Pariser Kirche Notre Dame oder am Hauptquartier der Feuerwehr in Philadelphia vorkamen. Fabelfiguren, die die Gebäude, an denen sie prangten, zu bewachen und vor allen bösen Einflüssen zu schützen hatten.
    Senior Pastor Nathan Rempel kniff unwillkürlich die Augen zusammen.
    Was war das?
    Bewegten sich nicht plötzlich die Flügel des mittleren Gargoyles? Nein, ganz und gar unmöglich, seine Augen und die seltsamen Lichtverhältnisse spielten ihm einen Streich.
    Oder doch nicht?
    Die Schwingen bewegten sich nun deutlich sichtbar. Langsam und majestätisch zuerst, dann peitschten sie plötzlich die Luft. Auch in die anderen Figuren kam jetzt Bewegung. Sie taten es der mittleren nach, bewegten die Flügel, so ungelenk zuerst, als müssten sie sie nach langer Ruhepause erst wieder flugtauglich machen, dann geschmeidiger, heftiger…
    Der Father ächzte leise, als sich der mittlere Gargolye plötzlich vom Dachfirst löste, sich langsam in die Lüfte erhob und ein paar Runden mit weit ausgebreiteten Schwingen drehte. Er erinnerte Rempel unwillkürlich an einen der animierten Flugsaurier aus einer Filmdokumentation über die Vorzeit. Die anderen folgten ihm nach. Fast majestätisch schwebten sie über der unheimlichen Kirche, beschleunigten plötzlich, ließen sich durchsacken und verschwanden irgendwo hinter den Bäumen.
    Bevor der Father auch nur einen Gedanken an Flucht verschwenden konnte, hörte er flappende Geräusche ganz in seiner Nähe. Sechs riesige schwarze Schatten tauchten neben ihm auf, landeten und kreisten ihn ein.
    Abgrundtief hässliche Fratzen schälten sich aus der Finsternis und starrten ihn lüstern an. In den tückischen, schwach rot leuchtenden Augen las der Father seinen Tod. Nein, diese da waren keine Beschützerwesen. Fluchtgedanken stiegen in ihm hoch. Doch dafür war es längst zu spät.
    Einer der Gargoyles trat einen Schritt vor. Er besaß ein gut geschnittenes, brutal wirkendes menschliches Gesicht unter einem Kahlkopf. Die lang gezogenen Ohren ähnelten denen von Trollen. Kein einziges Kleidungsstück deckte die nackte, schwarze Haut. Eher beiläufig registrierte Rempel, dass das Wesen geschlechtslos war.
    Der Gargoyle zog die Lippen zurück. Große Reißzähne blinkten im Mondlicht. Gleichzeitig ließ er ein bedrohliches Fauchen hören.
    Sein flammender Glaube und unendliches Selbstvertrauen drängten die auf steigende Todesangst rigoros zurück. Der Father war wild entschlossen, sich diesen Kreaturen der Finsternis zu stellen. Das war die Chance, auf die er so lange gewartet hatte.
    ***
    Zwischen den Welten:
    Alfred Eisenpreis ging schnellen Schrittes durch das Kirchenschiff. Er traf die sechs Gargoyles beim Dunklen Altar an. Sie drängten soeben in die Sakristei, um von
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