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0857 - Die Schnitterin

0857 - Die Schnitterin

Titel: 0857 - Die Schnitterin
Autoren: Jason Dark
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fremd und unverständlich. Er kam mit dieser Welt überhaupt nicht zurecht. Sie war bisher in seinen Träumen und Gedanken niemals erschienen. Er hatte dafür keinen Platz gehabt, plötzlich aber war er damit konfrontiert worden, ohne daß er sich hatte vorbereiten können. Genau dies machte ihn so durcheinander und ließ die Furcht in ihm hochsteigen.
    Noch immer ging von dieser Person die kalte Luft aus. Sie hatte die Haltung des Kopfes verändert. Trotz der Dunkelheit im Krankenzimmer konnte er sie genau erkennen, denn sie war eine Erscheinung, die sich deutlich vom Hintergrund abhob, als hätte man sie aus ihm wie mit dem Messer herausgeschnitten.
    Das Gesicht war nicht häßlich. Es war schmal, und durch die glatten Haare wurde es noch schmaler gemacht. Der volle, breite Mund, die kleine Nase, die Augen, die so traurig dreinblickten, all das war ihm fremd und trotzdem so vertraut geworden, weil sie eben schon lange an seinem Bett stand.
    Sie bewegte ihre Waffe. Slater hörte keinen Laut, als das blanke Blatt der Sense über sein Bett schwang, und ihn die Kälte wie eine in die Haut schneidende Klinge traf und ihn zusammenschrecken ließ.
    Wie gefährlich nah die Waffe ihm schon gekommen war, sah er in der nächsten Sekunde, denn da hatte die unbekannte Geisterfrau die Arme vorgestreckt. Sie ließ den Sensenbogen dicht über Slaters Gesicht schweben. Er sah die Außenkante, die ebenso geschliffen war wie die an der Innenseite der Waffe, und er wußte, daß die Sense nur um eine Handbreite nach unten gedrückt werden mußte, um sein Gesicht zu zerschneiden.
    Obwohl er es nicht wahrhaben wollte, er schwebte tatsächlich in Lebensgefahr. Seine weitere Existenz lag einzig und allein in den Händen dieser geisterhaften Frau.
    Aber sie tat nichts.
    Die Sense schwebte auch noch Sekunden später über Mehmets Gesicht. Ein böses, tödliches Omen, dem keiner so leicht entwischen konnte. Zumindest nicht freiwillig.
    Das Blatt bewegte sich hin und her.
    Mehmet spürte den leichten Luftzug, der über sein schweißbedecktes Gesicht trieb. Manchmal dachte er auch daran, daß dieser Luftzug ebenfalls aus einer Kälte bestand, die sich um seinen Kopf drehte wie ein unsichtbarer Verband.
    Er wollte mit den Augen zwinkern, auch das gelang ihm nicht.
    Statt dessen starrte er gegen das Metall und hatte den Eindruck, einen kalten und gleichzeitig scharfen Geruch wahrzunehmen.
    Wieder hörte er das Zischeln. »Ich werde dich nicht töten, nicht jetzt. Aber ich kann dir auch nicht versprechen, daß dies so bleibt. Du hast mich in tiefe Trauer gestürzt, denn du hast Thornton umgebracht. Er war noch nicht bereit gewesen, er hatte noch eine Aufgabe zu erfüllen, ich habe mich mit ihm treffen wollen…«
    Durch Slaters Kopf schossen unzählige Gedanken. Sie waren wie die Bruchstücke einer Kette, die er zusammenzufügen versuchte.
    Aber ich wollte es doch nicht. Mich trifft keine Schuld. Sie haben plötzlich vor mir auf der Fahrbahn gestanden. Ich wollte Ihnen noch ausweichen, um Sie nicht zu überfahren. Da habe ich den anderen Wagen gestreift. Ich habe es wirklich nicht gewollt. Sie trifft die Schuld…
    Das alles hatte er ihr erklären wollen, aber sein Mund war geschlossen geblieben. Er schaffte es einfach nicht mehr, mit dieser Person darüber zu reden. Sie war so anders, so geisterhaft, sie war und sie konnte einfach kein Mensch sein. Vielleicht war sie in der Lage, Gedanken zu lesen. Wenn das zutraf, konnte er sich freuen, dann war ja alles klar, dann mußte sie die Erklärung, die gleichzeitig eine Entschuldigung war, auch annehmen.
    Wenn nicht, dann…
    Die geisterhafte Frau schüttelte den Kopf. Sie hatte ihn nicht akzeptiert, sie hatte es einfach nicht gewollt. Sie stand gegen ihn, sie brachte kein Verständnis für einen Menschen auf.
    Wie denn auch.
    Dafür bewegte sie die Sense. Das Blatt glitt wieder dicht über sein Gesicht hinweg. Diesmal spürte Mehmet, wie es seine Barthaare berührte, und er merkte auch, wie es höher glitt auf seinen normalen Kopfschmuck zu und dort ebenfalls eine schmale Schneise aus dem Haar hervorschnitt. Die Reste rieselten von seinem Kopf, und dann zog sich die Person zurück.
    Er hörte nicht den geringsten Laut. Sie glitt einfach davon. Mit einer unhörbaren Bewegung schulterte sie die Sense. Sie drehte Mehmet den Rücken zu, was auch so blieb, als sie auf die Tür zuging, die nicht einmal von ihr geöffnet wurde.
    Die Schnitterin ging hindurch, als wäre das Holz überhaupt nicht
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