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0855 - Spektrum des Geistes

Titel: 0855 - Spektrum des Geistes
Autoren: Unbekannt
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lange Zeit nichts Genaues wußte.
    Erst als er seine Fähigkeit entdeckte und zu gebrauchen begann, da hatte er gewisse Ahnungen, daß er sein Leben nicht allein bestimmen konnte. Die volle Wahrheit erfuhr er aber erst viel später.
    Durch sein Leben geisterte ein Unbekannter, von dem er nicht wußte, wie er hieß oder was er war. Er kannte nur sein Aussehen: Er war schlank und schmalbrüstig, hatte ein Engelsgesicht mit ungewöhnlich heller Haut und eindrucksvolle Augen. Und er trug stets ein Amulett bei sich, das aussah wie ein ungeschliffener Kristall.
    Obwohl Bran später, als er auf eigenen Füßen zu stehen meinte, die Nachforschungen mit großen Anstrengungen betrieb, war es ihm nicht möglich, irgendwelche Informationen über diesen Mann zu bekommen.
    Es gab keine Hinweise für seine Existenz.
    Zum erstenmal hörte er mit sechs von ihm.
    Sein Vater machte zu Hause Urlaub, was selten genug geschah. Bran war scheinbar in sein Spiel vertieft, während seine Eltern sich nebenan gedämpft unterhielten. Aber so lei-se sie auch sprachen, Bran schnappte genug auf, um zu erkennen, daß das Gesagte für ihn nicht von Interesse war.
    Plötzlich wurde er hellhörig und lauschte bewußt.
    „... geht mir der Fremde nicht aus dem Sinn, der vor sechs Jahren auf einmal in Brans Zimmer stand. Erinnerst du dich daran, daß er sagte, Bran sei wie er? Zum Glück hat er mit diesem blassen Gespenst keinerlei Ähnlichkeit."
    „Ich erinnere mich auch, daß du den Wunsch geäußert hast, Bran möge nicht deine Na-se bekommen, Zimbat", sagte die Mutter. „Aber dieser Wunsch ist nicht in Erfüllung ge-gangen. Bran ist dir wie aus dem Gesicht geschnitten."
    Der Vater ging auf ihre Worte nicht ein.
    „Ich werde den Gedanken nicht los, daß wir von dem Fremden noch einmal hören werden", fuhr er fort. „Er schien zu wissen, wovon er sprach. Und er hatte einen so seltsamen Talisman umhängen, von dem eine eigene Ausstrahlung ausging. Ich bin wahrlich nicht abergläubisch, aber ich habe das Gefühl, daß diese Begegnung für Bran schicksalsbe-stimmend war."
    „Wenn es zutrifft, dann hat der Fremde Bran Glück gebracht", behauptete die Mutter.
    Mit acht ertappte Bran seine Mutter zum erstenmal beim Lügen. Er war allein im Haus, und sie kam später, als sie gesagt hatte, und er bekam es langsam mit der Angst zu tun.
    Als sie schließlich zurückkam, sagte sie, daß ein Unfall in einem der Rohrbahntunnel sie aufgehalten hätte.
    Bran spürte jedoch, daß sie die Unwahrheit sagte. Er wußte nicht wieso, aber er war si-cher, daß sie ihn belog. Von da an schaute er seiner Mutter genauer auf den Mund, wie man so schön sagt, in Wirklichkeit esperte er jedoch ihre Gefühlsschwingungen, ohne diesen Vorgang selbst zu erkennen.
    Ein halbes Jahr später ertappte er seine Mutter neuerlich bei einer Lüge. Sie schickte ihn zu Bekannten, weil sie wichtigen Besuch erwartete. Bran fand weiter nichts dabei.
    Als er jedoch nach Hause zurückkam und seine Mutter meinte, daß der Besuch sie hatte sit-zen lassen, wußte er, daß das nicht stimmte.
    Sie hatte Besuch gehabt, dessen war er sicher. Irgend etwas lag in der Luft, das davon Zeugnis ablegte. Und dieses Etwas ging von seiner Mutter aus, und als er genauer forsch-te, explodierte förmlich eine Bilderfolge in seinem Geist.
    Es war ein furchtbarer Schock für ihn, als er plötzlich den Mann zusammen mit seiner Mutter sah, dessen Beschreibung er schon einmal von seinem Vater erhalten hatte.
    Bran sah ihn deutlich vor sich, aber er sah ihn sozusagen mit dem Auge seiner Mutter, und deshalb hatte er nichts Unheimliches an sich. Er war wirklich erschreckend dünn, man hatte Angst, daß er bei einer unvorsichtigen Bewegung in der Mitte abbrechen würde. Der unförmige Klumpen, der ihm auf der Brust baumelte, war in Brans Augen unansehnlich.
    Kaum war die Bilderfolge verblaßt, lief er auf sein Zimmer, um sich auszuweinen. Es schockierte ihn weniger, daß die Mutter ihn belog, er hatte einfach Angst vor dem unerklärlichen Phänomen der rückwirkenden Bilderschau, wie er es impulsiv nannte.
    Später, als er sich mehr und mehr damit beschäftigte und erkennen mußte, daß er seine erschreckende Gabe gelegentlich steuern konnte, fand er einen anderen Namen - er nannte es eine „Erlebnis-Rekonstruktion" -, aber deswegen wurde die Furcht davor nicht geringer.
    Er kam dahinter, daß der blasse Fremde in gewissen Abständen immer wieder Kontakt zu seiner Mutter aufnahm, und zwar immer dann, wenn sein Vater fort
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