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0777 - Die dritte Tafelrunde

0777 - Die dritte Tafelrunde

Titel: 0777 - Die dritte Tafelrunde
Autoren: Dario Vandis
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Jedenfalls nicht, wenn es nach Ellen ging. Sir kaufte sich Schmuck und Handtaschen und vernachlässigte den Haushalt. Bald stand der Schuldeneintreiber vor der Tür. Am Ende musste der Vater doch blechen, und das milderte seine Abneigung gegen den Schwiegersohn nicht im Geringsten. Er wollte nicht einsehen, dass es Ellen war, die Schuld an der Malaise hatte. Überhaupt, Malaise. Wie der sich immer ausdrückte. Konnte der nicht reden wie ein normaler Mensch?
    Du magst mich für einen Parvenü halten, Vincent, aber ich habe mir alles selbst erarbeitet!
    Vincent hatte keine Ahnung, wovon der Alte redete, aber sein Hass auf Ellen wuchs. Sie stiftete Unruhe, sie brachte ihn bei seinen Freunden in der Kneipe in Verruf.
    Bist wohl nicht in der Lage, deine Alte ruhig zu stellen, ivie?, hatten sie gefragt und hämisch gegrinst.
    Aber sie hatten sich getäuscht. Als Ellen heute Morgen wieder das Geschrei angefangen hatte, war es ihm zu viel geworden. Ich brauche mehr Geld! Glaubst, du mit den billigen Kleidern kann ich mich bei den Freunden meines Vater sehen lassen? Du bist ein Nichtsnutz!
    Da war ihm der Hut hochgegangen. Und dann hatte er sie ruhig gestellt.
    Er hielt inne und blickte sich um. Ringsum war nichts als dichtes Laub und Unterholz. Obwohl der Frühling gerade erst begonnen hatte, sprossen die Blätter bereits und verwandelten das Gelände abseits des Hauptweges in ein scheinbar undurchdringliches Dickicht.
    Das ist der richtige Platz, schoss es ihm durch den Kopf.
    Er bahnte sich einen Weg durch die Sträucher. Der Teppich hinderte ihn, aber er hatte auf die Schnelle nichts Besseres gefunden. Außerdem war er ja kräftig. Wer war er denn, dass er sich beschwerte?
    Volle dreißig Meter drang er in das Unterholz ein, bis er meinte, die passende Stelle gefunden zu haben. Er konnte es nicht beschreiben. Er wusste einfach, dass er sich am richtigen Ort befand. Eine winzige Lichtung zwischen den Büschen, im Durchmesser nicht mehr als zwei, höchstens drei Meter. Der Waldweg war von dieser Stelle aus überhaupt nicht zu sehen. Vincent lauschte noch einmal, vernahm aber kein Geräusch. Ganz sicher war ihm niemand gefolgt.
    Er lud den Teppich ab und begann zu graben. Er hätte einen Spaten mitnehmen sollen, aber daran hatte er in der Hektik nicht gedacht. Außerdem hätte ihn jemand sehen können. Den Spaten und den zusammengerollten Teppich -was mochten sich die Nachbarn wohl dabei denken?
    Er stieß seine Hände tief in den morastigen Boden. Den letzten Monat über hatte es fast jeden Tag geregnet, deshalb war die Erde aufgeweicht, fast matschig. Er grub wie ein Wahnsinniger. Hechelnd. Keuchend. Speichel tropfte ihm von den Lippen.
    Eine halbe Stunde später hatte er eine Grube ausgehoben, die fast zwei Meter lang und einen halben Meter tief war. Das reichte eigentlich aus, aber er wollte sichergehen. Niemand sollte etwas finden.
    Seine Hände waren längst zerschunden, die Haut rau. Ein Fingernagel waren eingerissen, aber darum kümmerte er sich nicht. Er packte den nächsten Brocken Erde und wollte ihn zur Seite werfen.
    Da hörte er das Geräusch. Es war über ihm und klang wie ein abknickender Zweig. Sein Kopf ruckte empor.
    Und er sah das Mädchen.
    ***
    Er benötigte zehn endlose Sekunden, um sich aus seiner Erstarrung zu lösen. Dabei war es nicht allein die Anwesenheit eines anderen Menschen, die sein Erstaunen bewirkte. Es war die Erscheinung des Kindes, die sonderbare Kleidung, die es trug.
    Die Kleine mochte zehn, höchstens elf Jahre alt sein. Ihr Leib wurde von einem kurzen ledernen Rock mit einem breiten Gürtel bedeckt, an dem eine unterarmlange Metallscheide hing. Vincent erblickte den Griff eines Dolches, der in der Scheide steckte. An den Füßen trug sie fellgefütterte Stiefel, und ihr linker Oberarm wurde von einem ledernen Reif geschmückt, als trage sie Staffage für einen Fantasyfilm.
    »Was machst du da?«, fragte sie endlich, so unschuldig und neugierig, wie ein Kind in diesem Alter nur fragen konnte.
    Vincent suchte nach einer Antwort. »Ich grabe«, sagte er endlich. Er fühlte sich, als sei er aus einem bösen Traum erwacht - oder in einen anderen hineingeraten. Eine unsägliche Schwäche breitete sich in ihm aus. Im Angesicht dieses Mädchens fühlte er sich hilflos.
    »Willst du etwas verstecken?«
    Er nickte.
    »Einen Teppich?«
    Er vernahm den Schlag seines eigenen Herzens. Das blasse Gesicht des Mädchens wurde immer größer, es schien sein ganzes Blickfeld einzunehmen. Er sah, wie
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