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077 - Das Kollektiv

077 - Das Kollektiv

Titel: 077 - Das Kollektiv
Autoren: Stephanie Seidel
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fest.
    Zwei, drei heftige Herzschläge lang blieb sie reglos liegen, während ihr Instinkt
    »akute Gefahr« signalisierte und der Verstand zu berechnen suchte, was als nächstes geschehen würde. Giftige Dornen? Ein angreifendes Tier? Einstürzende Bodenfallen?
    In Panik sprang Miss Hardy auf die Beine und stemmte sich mit aller Macht gegen ihre Fesseln.
    Die Fasern des Zweigs krachten vernehmlich, rissen aber nicht. Durch das Zerren geriet der ganze Strauch in Bewegung; die Zweige schwankten hin und her und das Säure gefüllte, ebenerdige Ende der Fressknolle hob sich an.
    Flüssigkeit schwappte über den Rand.
    Es zischte, und der laubbedeckte Boden verschwand unter brodelndem Schaum.
    Ein zweites Mal an diesem Tag fühlte sich Miss Hardy unsanft gepackt, und diesmal protestierte sie nicht, als Aruula sie beiseite stieß und ihr Schwert hob.
    »Fingerstrauch«, sagte die Barbarin, während sie das abgeschlagene Zweigende vom Arm der Rebellin wickelte und in die Säure warf, wo es sich dampfend auflöste. Sie kannte das weit verbreitete Gewächs aus den Alpen - ein Fleisch fressender Nachtschatten, der sich auf kleine Tiere spezialisiert hatte. Einmal gefangen, hob sie der Zweig beim Wiederaufrichten über die Öffnung der Fressknolle, erhärtete sich und ließ das Opfer durch Anlegen seiner Schuppen fallen.
    »Giftig?«, fragte Miss Hardy atemlos, während Aiko heran kam, ihren Ärmel hoch schob und die weiche Haut nach Verletzungen absuchte.
    Aruula wiegte bedächtig den Kopf.
    »Die Schuppen sondern etwas ab, das kleine Tiere lahmt. Dir wird es nichts anhaben; es verursacht nur ein taubes Gefühl auf der Haut, das schnell wieder vergeht. Trotzdem rate ich dir, den Sträuchern fern zu bleiben. Unter ihren Wurzeln liegt ein großer Hohlraum - die Säure darin ist tödlich!«
    »Oh. Äh… danke, Aruula.«
    »Gern geschehen.« Aruula wandte sich an Matt, der die Fäuste in die Seiten gestemmt hatte und den Boden mit finsteren Blicken absuchte. Eine steile Falte stand zwischen seinen Augenbrauen.
    Die Barbarin legte ihm sacht eine Hand auf den Arm. »Es ist nicht nur der Handelspfad selber«, sagte sie leise. »Wir müssen auch wissen, was uns darauf erwartet! Ich kenne mich mit gefährlichen Pflanzen aus - lass mich die Gegend erkunden! Bis Sonnenuntergang bin ich zurück.«
    Matt gab seine zögernde Haltung auf und nickte. Aruula hatte Recht - es konnte nur von Vorteil sein zu wissen, was jenseits der Hügel lag, ehe man die Kämme überschritt.
    »Wir werden eine geeignete Stelle suchen und ein Nachtlager aufschlagen«, murmelte er. »Falls du dich verspäten solltest, weist dir das Feuer den Weg.«
    »Genau - und falls Sie unterwegs etwas Essbares finden: Bringen Sie es mit!«, rief Mr. Black hinter ihr her. Die Barbarin winkte flüchtig und lief los, am Rande der tückischen Felsenlandschaft entlang auf den Hügelkamm zu, über dem die sinkende Sonne stand, deren Streiflicht in diesem Moment ein heimkehrendes Fischerboot kreuzte…
    ***
    »Was ist das?«, fragte Tjomkiin überrascht von der Reling her. Im Vorbeigehen hob Yu'uri den Kopf und folgte dem Blick des jungen Fischers Richtung Küste. Auf den Hügeln war ein kurzes Aufblitzen zu erkennen gewesen, das gleich wieder verschwand.
    Yu'uri, der schon etliche Fahrten mehr als Tjomkiin gemacht hatte, Winkte ab und ging weiter. Er kannte solche Lichter.
    Wahrscheinlich waren Jäger unterwegs in die Wälder. Vielleicht bereiste auch jemand den alten Handelspfad, und die Sonne hatte sich an der Ausrüstung gespiegelt.
    Nachdenklich bahnte sich Yu'uri seinen Weg zum Bug - vorbei an zerstörter, notdürftig verstauter Gerätschaft und den letzten noch intakten Ruderbänken.
    Vier seiner Männer legten sich in die Riemen, um das Boot nach Hause zu bringen. Ushaar stand am Ruder.
    Tjomkiin half den restlichen Fischern, ein Leck in der Bootswand abzudichten, das der mächtige Körper des Schlangenmonsters im Todeskampf geschlagen hatte. Gjöör'gi und Le'ev - die beiden Jüngsten - wischten das Blut von den Planken, und Yu'uri lächelte sie mitleidig an.
    Es war eine Arbeit, die nicht enden wollte. Noch immer tropften vereinzelt zähe rote Fäden aus dem aufgespießten Kopf am Bootsmast, dessen Schatten allmählich länger wurde, seine Form veränderte und dem Bug entgegen kroch. Wie ein böser Geist.
    Erschauernd griff Yu'uri nach der Takelage und schwang sich auf das freie, sonnenbeschienene Vordeck. Die Küste war nicht mehr fern; eine Stunde noch, dann würden
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