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0756 - Tod über der Tunguska

0756 - Tod über der Tunguska

Titel: 0756 - Tod über der Tunguska
Autoren: Roger Clement
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darf Sie nicht allein lassen.« Igor überlegte einen Moment. »Aber ich kann etwas aus der Kantine bringen lassen!«
    Was für ein genialer Einfall! Da muss man erst mal drauf kommen, dachte Saranow genervt. Er schaute zu, wie Igor aufstand und zu dem altersschwachen Wandtelefon hinüberging, das vermutlich seit der Stalin-Ära an der Betonwand hing.
    Umständlich bestellte Igor kalte Getränke.
    Saranow wandte sich seufzend wieder seiner Arbeit zu. Die Akten waren teilweise über hundert Jahre alt. Damals hatte es den Abwehrdienst noch nicht gegeben. Zu Zeiten des Zaren nannte sich der Geheimdienst Ochrana, und er hatte zeitweise an die hunderttausend Agenten beschäftigt, die alle staatsfeindlichen Umtriebe im Keim erstickten. Oder es zumindest versuchten.
    Aber nicht sehr erfolgreich, philosophierte Saranow. Sonst wäre der Zar niemals gestürzt worden, und die Oktoberrevolution hätte nicht gesiegt.
    Diese sibirischen Ochrana-Akten enthielten eine Menge Unsinn. Da war von Waldfeen die Rede, und von den üblen Umtrieben eines bösen Kobolds. Das mochte zwar für russische Märchenforscher ganz spannend sein, aber Saranow befasste sich nicht unbedingt mit minderen magischen Phänomenen. Bei denen es zweifelhaft war, ob sie überhaupt wirklich etwas mit Kräften der Hölle zu tun hatten…
    Doch plötzlich stutzte Saranow.
    Er war auf einen bekannten Namen gestoßen. Auf einen sehr bekannten Namen sogar.
    Zamorra. Professor Zamorra.
    Dort stànd es, ganz eindeutig. In diesem maschinengeschriebenen Verhörprotokoll der Ochrana.
    Der Verdächtige kann nicht glaubhaft darlegen, was ihn in die Tunguska-Region führt, hieß es in dem Dokument. Professor Zamorra, wie er selbst sich nennt, ist offenbar Franzose, eventuell ein anarchistischer Aufrührer. Interesse an Tunguska-Region unklar.
    Saranow lehnte sich in dem Kinderstuhl zurück, dass es knackte.
    Das Verhörprotokoll war auf den 25. Juni 1908 datiert. Und am 30. Juni 1908 hatte am Fluss Tunguska die größte kosmische Katastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts stattgefunden.
    Saranows Neugier war geweckt. Natürlich hatte er auch schon von dem so genannten Tunguska-Zwischenfall gehört. Mehr als genug sogar. Alle gängigen Theorien waren ihm bekannt. Aber selbst erforscht hatte Saranow das unerklärliche Phänomen noch nicht. Offenbar im Gegensatz zu seinem Freund und Kollegen Zamorra, der wohl damals mit Hilfe einer Zeitreise dabei gewesen war.
    Was hatte sich wirklich am 30. Juni 1908 am Ufer der Steinernen Tunguska abgespielt?
    Zamorra musste es mitbekommen haben. Immerhin war er dort gewesen und noch wenige Tage vor dem Ereignis von der Ochrana verhört worden.
    Saranow beschloss, so schnell wie möglich seine Arbeit in Wladiwostok zu beenden. Dann wollte er nach Frankreich reisen und Zamorra ganz freundschaftlich auf den Zahn fühlen. Der russische Parapsychologe platzte fast vor Neugier.
    Es klopfte an der Stahltür.
    Igor ging hin, um zu öffnen. Ein Kantinenangestellter brachte Getränke.
    »Was Kaltes gab’s nicht mehr!«, hörte Saranow ihn noch sagen. Im nächsten Moment stellte Igor ein glühend heißes Glas Tee vor den Parapsychologen hin.
    Saranow verdrehte genervt die Augen. Es wurde wirklich Zeit, dass er seine Arbeit beendete und Zamorra besuchte…
    ***
    Region Tunguska, Sibirien, Russland, Juni 1908
    Lena Kuslowa duckte sich ins Unterholz.
    Die Zobeljägerin überprüfte gerade einige Fangeisen, die sie auf diesem Hügel unweit der Steinigen Tunguska aufgestellt hatte. Da vernahm sie ein seltsames Geräusch, das sie sogleich Deckung suchen ließ.
    Lena Kuslowa war nicht gerade feige. Aber man konnte hier in der Tunguska-Region nur überleben, wenn man sich den Rücken freihielt und auf alle Wechselfälle des Daseins vorbereitet war. Das galt erst recht für Frauen, die allein in der Wildnis lebten.
    So wie Lena Kuslowa es tat…
    Die Zobeljägerin glitt lautlos über den Boden und zog ihr Gewehr von der Schulter. Lena Kuslowa war eine ausgezeichnete Schützin, die selten ihr Ziel verfehlte. Das bescherte ihr den Respekt der Einheimischen, deren Leben oder Sterben in der Wildnis von einer funktionierenden Waffe abhing. Das traf natürlich auch auf Lena Kuslowa selbst zu.
    Die hochnäsigen Gesellschaftsdamen in St. Petersburg oder Moskau hätten die Zobeljägerin als ›Flintenweib‹ bezeichnet. Lena stieß verächtlich die Luft durch die Nase aus, während sie weiterhin durch das Unterholz robbte.
    Diese Damen, die einen Ohnmachtsanfall
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