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0754 - Der Zeitsauger

0754 - Der Zeitsauger

Titel: 0754 - Der Zeitsauger
Autoren: Christian Constantin
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nicht bemerkt, was sich vor dem Haus abspielte. Er war zu sehr in das Gespräch vertieft. Energisch schüttelte er den Kopf.
    »Nein, nein, nein!«, widersprach er energisch. »Sie verstehen nicht, Professor. Ich wollte Sie nur kennen lernen, bevor ich Sie töte. Ich treffe nicht allzu oft Menschen, mit denen ich offen reden kann. Und wie hätte ich mir diese Chance entgehen lassen sollen? Die Chance, mit jemandem zu sprechen, der mir so ähnlich ist?«
    Der Fremde war jetzt aufgeregt. Zuvor hatte er lässig und spottend gesprochen, aber nun gewann seine Stimme an Intensität, als wäre es ihm wirklich wichtig, dass Zamorra seine Beweggründe verstand und akzeptierte.
    »Als sie letztes Jahr hier in Manchester waren«, fuhr er fort, »habe ich angefangen, mich für Sie zu interessieren. Nur generell, als mögliche Gefahr für mich. Ich halte mich gerne über Leute wie Sie auf dem Laufenden, falls mir mal einer ins Handwerk pfuschen will. Aber dann… Stellen Sie sich doch nur vor! Als ich die Gerüchte gehört habe! Als ich erfahren habe, dass Sie über sechzig sein müssten, und Sie auf dem Photo aussahen wie Mitte dreißig! Als ich endlich angefangen habe, zu ahnen, dass Sie das sind, was mir nicht vergönnt war…«
    Wilde starrte Zamorra aus großen Augen an. Auf seinem Gesicht spiegelte sich beinahe so etwas wie Bewunderung. Er ballte seine Hände zu Fäusten, als er versuchte, seine Empfindung in Worte zu fassen.
    »Als ich verstand, dass Sie… unsterblich sind«, hauchte er ehrfürchtig.
    In seinen Augen stand jetzt ein Ausdruck von unendlicher Gier, von einem Verlangen, das so bodenlos war, dass es keine Grenzen für das gab, was er dafür zu tun bereit war.
    »Ist es denn da ein Wunder, dass ich Sie treffen wollte?«, fragte Wilde. »Verstehen Sie doch, Sie sind das, was ich immer sein wollte! Sie sind gewissermaßen mein Idol! Ich wollte Sie sehen, um endlich mit jemandem zu sprechen, der wirklich unsterblich ist. Der so ist, wie ich es sein wollte. Der nicht so versagt hat, wie ich es getan habe…«
    Seine Stimme wurde leiser, und er neigte den Kopf, als er in Erinnerungen versank. Während Wilde um Fassung rang, ließ Zamorra unauffällig den Blick über die Bücherregale wandern.
    Es war zwar unwahrscheinlich, dass das, was er suchte, sich tatsächlich in dem Regal befand, aber einen Versuch war es wert.
    Der Fremde riss sich aus seinen Gedanken. Er hob den Kopf, und sah Zamorra direkt in die Augen. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber seine Stimme versagte ihm den Dienst.
    Dem Parapsychologen wurde klar, dass Wilde sehr lange darauf gewartet hatte, mit jemanden über das zu reden, was er geworden war. Vielleicht hatte er deswegen auch dem Dichter Oscar Wilde seine Geschichte erzählt - und sich nach ihm benannt.
    Vermutlich hatte er immer wieder in Monologen geübt, was er in diesem Moment, kurz vor seinem endgültigen Triumph, sagen würde. Aber jetzt kam nur ein chaotischer Redeschwall dabei heraus.
    »Ich wollte nur nicht… ich… ich wollte nur nicht sterben, das ist alles«, stammelte er. »Ich habe nicht darum gebeten, dafür morden zu müssen, verstehen Sie.« Die Stimme des Fremden war beinahe flehentlich geworden.
    Jetzt sprang er plötzlich auf und brfülte: »Ich wollte doch nur lebenl«
    Mit einem Klirren zerplatzte das Glas in seiner Hand. Einige Splitter hatten sich in seine Haut eingegraben, und schwarzes Blut tropfte an seiner Hand hinab. Der Fremde ignorierte die Wunde.
    »Und was habe ich stattdessen bekommen?«, fuhr er fort, während er sich langsam auf Zamorra zu bewegte. »Ich bin ein Monster geworden. Ich altere schneller als normale Menschen, ist Ihnen das bewusst? Schon in einer Woche werde ich wieder ein alter Mann sein, dem Tode nah. Ein gottverdammter Greis! Dabei wollte ich doch nur jung bleiben! Mehr wollte ich doch nie…«
    Ruhig lehnte sich Zamorra an eines der Regale und zog ein Buch hervor. Er warf einen Blick auf den Titel, schlug es aber nicht auf. Auf seiner Brust spürte er, wie sich Merlins Stern wegen seiner Berührung mit dem Buch erwärmte.
    »Ich hätte nicht gedacht, dass Sie das Necronomicon einfach so hier herumstehen lassen«, sagte er in betont gelassenem Tonfall.
    Der Fremde spuckte aus. »Warum nicht? Ich brauche es nicht mehr. Ich bin, was ich bin. Das Drecksding hat mich sowieso nur betrogen.«
    Zamorra schlug das Buch zu.
    »Dann werden Sie es doch endlich los!«, rief er und warf es mit aller Wucht gegen das Fenster.
    ***
    Kathy Harrold
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